- Bäckerwelt - https://baeckerwelt.de -

Die alte Bürgelfrau

Ja, ich mag kleine Gedichte. Oder auch kurze Verse, die knapp einen Gedanken zusammenfassen. Beispielsweise den markanten Vierzeiler von Heinz Erhard: „Das Leben kommt auf alle Fälle aus einer Zelle. Und bei manchen Strolchen endet es auch in einer solchen.“ Treffend und humorvoll. Darüber hinaus gibt es auch die Sinnsprüche, die ein oder zwei Körnchen Wahrheit enthalten. Hier denke ich beispielsweise an Wilhelm Busch: „Scheint dir auch mal das Leben rauh, sei still und zage nicht. Die Zeit, die alte Bügelfrau, macht alles wieder schlicht.“ So nach dem Motto: Die Zeit heilt alle Wunden. Ich sehe auch die Zeichnungen des bekannten Dichters vor mir – obwohl das bei genauerem Hinsehen gar nicht die Bügelfrau sein muss. Es könnte auch die Witwe Bolte sein. Aber egal, Hauptsache, es wird alles wieder schlicht. So haben wir es gerne. Schlicht und einfach. Dagegen ist auch zunächst gar nichts einzuwenden. Doch leider, so meine Erfahrung, ist das Leben meist weder schlicht noch einfach. Das beginnt im Beruf, und über die persönlichen Problemchen will ich gar nicht erst sprechen. Häufig ist es tatsächlich die alte Bügelfrau, die uns helfend unter die Arme greift. Mit der Zeit schafft es der neue Azubi in der Backstube dann doch, mit zwei Händen gleichzeitig die Teigballen rundzuwirken. Herzlichen Glückwunsch. Und im Verkauf kann irgendwann jeder überzeugt werden, dass es durchaus sinnvoll ist, die Tortenstücke in einer Sahnehohlverpackung zum Transport über die Theke zu reichen. Klasse – so soll es sein. Die alte Bügelfrau scheint vielfältig begabt zu sein. Allerdings sprach ich zu Beginn nicht ohne Hintergedanken von den ein bis zwei Körnchen, die sich hier an Wahrheit finden. Mehr sind es an dieser Stelle bedauerlicherweise nicht. Bei Licht betrachtet, ist es nicht die Zeit, die schwierige Tätigkeiten einfach werden lässt, sondern schlicht die Übung. Da gab es doch auch so einen netten Spruch! Ja, genau den! Wir verstehen uns. Somit ist Wilhelm Busch überführt. Nicht seine Bügelfrau ist es, die alles schlicht und einfach macht, sondern allein die Übung, die in einer gewissen Zeit stattfindet. Von wegen „sei still und zage nicht“. Hier sollten eben nicht die Hände in den Schoß gelegt werden. Im Gegenteil, hier muss probiert, geübt und angefasst werden. Jeder rundgewirkte Teigballen und jede ordentlich gefaltete Sahnehohlpackung bringen uns weiter. Allerdings sollten altgediente Bäckermeister nun nicht zu heftig mit dem Kopf nicken und die gerade gelesenen Zeilen dem Azubi unter die Nase halten. Nicht nur Berufsanfänger werden in Zukunft ganz neue Dinge lernen und üben müssen, sondern wir alle. Stichwort Industrie 4.0 – oder in unserem Fall die Backstube 4.0. Es muss nicht schlecht sein, wenn der Kneter mit dem Ofen sprechen kann! Ich für meinen Teil bin schon sehr gespannt auf die kommenden Entwicklungen. Richtig, Sie müssen bei diesem Gedöns nicht mitmachen, aber haben Sie eigentlich auch ein Smartphone? Dessen Existenz ist nicht gottgegeben. Soll heißen, es gab auch eine Zeit ohne Smartphone – heute jedoch will keiner mehr ohne. Wahrscheinlich nutze ich nicht annähernd die Möglichkeiten, die der kalte Glasbarren hat, aber ich komme damit klar. Ich bin zuversichtlich, dass es uns ähnlich gehen wird, wenn in der Backstube alle Geräte miteinander verknüpft sind. Hoffentlich reden die nicht nur miteinander, sondern verstehen sich auch.