Aufmerksamkeit bezahlen

Aufmerksamkeit bezahlen

27.09.2022 | Christian Bremicker

Neulich hörte ich etwas, was ich nicht sofort verstanden habe: Die Aufmerksamkeit mit der Glaubwürdigkeit bezahlen. Klang mir sehr abstrakt. Zum Glück gibt es den Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks! Dieser lieferte mir ein plakatives Beispiel. Da sich der Zentralverband offensichtlich als modern versteht, bespielt er auch Social-Media-Kanäle. Twitter beispielsweise. Ob das so gut gemacht ist, ist Geschmackssache, interessant und aufschlussreich ist es allemal. Das Beispiel, was mir weiterhalf zu verstehen, wie es sich mit Aufmerksamkeit und Glaubwürdigkeit verhält, hatte allerdings einen anderen Ausgangspunkt. Ralf Schuler, der Ende Juli noch bei der Bild Zeitung in Berlin beschäftigt war, twitterte einen Artikel aus eben jener Zeitung. Überschrieben war der – nennen wir es einmal – Beitrag mit den alarmierenden Worten „Bäcker Achim (55) kann das Gas nicht mehr bezahlen“. Darunter die traurige Nachricht der Geschäftsaufgabe ob der immensen Gaskosten. Auch das Bild eines wenig fröhlichen Bäckers samt Brezelblech war zu sehen. Ok. Das Ganze kam von der Bild Zeitung, und diese beschäftigt sich ja laut der Punk- Band „Die Ärzte“ vorwiegend mit „Angst, Hass, Titten und dem Wetterbericht“. Ich zitiere nur. Allerdings schmückte ein außergewöhnliches Merkmal diesen Tweet: „ZV Bäckerhandwerk hat retweetet“ war dort zu lesen. Plötzlich kamen in mir doch Zweifel, ob ich der lauten Zeitung mit den vier Buchstaben nicht doch Unrecht getan haben könnte. Schließlich schloss sich der renommierte Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks den Aussagen der Zeitung an (auf Twitter nennt sich das retweeten) und verstärkte sie, ja legitimierte sie damit. Ich war neugierig geworden und begann zu recherchieren. Recht schnell wurde ich, dem Internet sei Dank, in einer Regionalzeitung fündig. Allerdings klang es da schon weniger gaslastig. Wortwörtlich seien es ganz unterschiedliche Faktoren gewesen, die die Familie zu der Entscheidung geführt hätten, die Bäckerei schließen zu wollen. Zwar spielten die Energiekosten auch eine Rolle, aber eben nur eine unter vielen. Daraufhin wollte ich es genau wissen und rief den Bäcker kurzerhand an. „Sie kennen doch die Bild. Die haben das mit dem Gas ziemlich aufgeblasen“, erklärt er mir. Ja, die Methoden der Boulevardzeitungen sind manchmal ein wenig fragwürdig – das lernt schon jedes Kind im Geschichtsunterricht. Oder in Sachkunde. Aber, dass sich unser Zentralverband damit gemein macht, ist meiner Meinung nach noch viel fragwürdiger. Deswegen habe ich gleich auch noch in Berlin angerufen und mal nachgefragt, nach welchen Kriterien dort getwittert wird. Erklärung: „Unsere Aufgabe ist es aktuell, gegenüber der Politik Druck aufzubauen, um die Notlage der Bäckereien darzulegen; gegenüber der Öffentlichkeit […] ist es unsere Aufgabe, ein Bewusstsein für das Bäckerhandwerk zu schaffen“ und weiter: „Daher ist es unsere Pflicht, auf themenbezogene Artikel im Netz aufmerksam zu machen, um ein breites Publikum zu erreichen. Dies tun wir mit zahlreichen Beiträgen aus Fach- und Publikumsmedien, die für die Community eine Relevanz besitzen“. An sich ein zweifellos ehrenwertes Ziel. Allerdings wäre es doch noch viel ehrenwerter, wenn die dazu erzählte Geschichte nicht so eindimensional dargestellt wäre, dass sie so wiedergegeben schlicht nicht mehr wahr ist. Ansonsten machte sich der Zentralverband mit Meinungen gemein, die gerade nicht förderlich sind. Er würde die Aufmerksamkeit mit seiner Glaubwürdigkeit bezahlen, und das kann ja keiner wirklich wollen.


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