In Osnabrück sind am 17. Juni 2023 die Bäckereien Goeken (Bad Driburg), Happ (Neuhof bei Fulda), Mangold (Dornbirn, Österreich), Wildbadmühle (Wittlich-Wengerohr) sowie die Wildbakers Johannes Hirth (Bad Friedrichshall) und Jörg Schmid (Gomaringen) mit dem Marktkieker, dem wichtigsten Unternehmerpreis der Backbranche, ausgezeichnet worden.
Bei der Preisverleihung betonte Monika Kordhanke als Vorsitzende der Jury den Punkt, der die ausgezeichneten Betriebe unabhängig von ihrer Größe vereint: „Alle Preisträger haben frühzeitig die Bedeutung von gut ausgebildeten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern erkannt. Sie leben eine vorbildliche Unternehmenskultur, die moderne Führungsgrundsätze mit der Menschlichkeit eines familiengeführten Handwerksunternehmens verbindet.“ Das verschaffe ihnen einen Vorsprung im wichtigen Wettbewerb um die hellsten Köpfe, was diese Bäckereien auch für die Zukunft krisenfest mache. „Die ausgezeichnete Backwarenqualität, das ideenreiche Marketing und die Innovationskultur basieren auf einer beispielhaften Menschenführung und Wertschätzung.“
Im Bäckerhandwerk gibt es zurzeit zwei große Management-Schulen. Die Mehrzahl geht davon aus, dass man den meisten Mitarbeitern eigene Entscheidungen oder komplexe Aufgaben nicht mehr übertragen kann. Entsprechend scheint Vereinfachung das Gebot der Stunde: Die Filialbestellungen werden zentral gesteuert, ebenso die Personaleinsatzplanung. Und wenn der Brötchenvorrat im Fachgeschäft zur Neige geht, erinnert das Kassensystem die Verkäuferin an die Notwendigkeit, den Ladenbackofen anzuwerfen. Benedikt Goeken hat für Goeken backen und die 58 Fachgeschäfte das Gegenmodell entworfen: Maximale Förderung, um die Potenziale der Mitarbeiter zu heben. Obwohl der Betrieb, als Goeken ihn übernahm, nicht auf Rosen gebettet war, machte er eine halbe Million Euro locker, um sie systematisch in die Entwicklung der Human Ressources zu stecken. Die Branche quittierte das teilweise mit einem Kopfschütteln, die Investition in eine leistungsfähige neue Feingebäcklinie hätte doch sofort zählbare Einsparungen gebracht, dachte man. Langfristig zeigte sich aber, dass die Strategie des jungen Bäckermeisters, seiner Frau Eva und seiner Mutter Anne Goeken-Schmidt aufging. Bei Goeken backen machen heute die Mitarbeiter den Unterschied. Viele haben in der Bäckerei gelernt, welche ungenutzten Potenziale in ihnen schlummern. Den Weckruf, den die Wildbakers an die Unternehmer der Branche senden, schickt Goeken an die Mitarbeiter in den Bäckereien. Das ist sicher aufwändiger als der Weg, den viele Kollegen gewählt haben. Für die Branche und das Ansehen ihrer Mitarbeiter wäre es aber schön, wenn viele Bäcker Goekens Ansatz folgen. Vielleicht heißt es dann einmal im Beratungsgespräch bei der Arbeitsagentur: „Sie möchten sich persönlich und beruflich beständig weiterentwickeln? Dann sollten Sie unbedingt einen Job im Bäckerhandwerk suchen.“ Bei der Förderung der Mitarbeiter verbindet sich bei Goeken übrigens Tradition mit Moderne. Ganz altmodisch besucht die Seniorchefin Anne Goeken-Schmidt noch jeden neuen Azubi zuhause. Sie verschafft sich so ein Bild, wo besondere Unterstützung nötig sein wird. Lohn der Mühe ist die sehr geringe Abbrecherquote unter den Goeken-Lehrlingen.
Die Bäckerei Happ mit den Preisträgern Michael und Christoph Happ hält in der Welt der deutschen Filialbäckereien einen Rekord: Die jährliche Mitarbeiter-Fluktuationsquote liegt unter 20 Prozent. Der beeindruckend niedrige Wert, in den die Aushilfskräfte bereits eingerechnet sind, ist Ergebnis einer einzigartigen Unternehmenskultur, die von der Familie Happ mit großem persönlichem Einsatz seit Jahrzehnten gepflegt wird. Michael und Christoph Happ haben das Einstellungsgespräch mit jedem der 680 Mitarbeiter persönlich geführt. Jedem Teammitglied in der Backstube wie in den 55 Fachgeschäften wird mit der gleichen Wertschätzung begegnet. Ausbildung und Einarbeitung sind ebenso vorbildlich gelöst wie die Förderung von Talenten. Da erscheint es fast logisch, dass die Bäckerei Happ in allen Bereichen eine fast schon beängstigende Perfektion erreicht. Typisch für die Philosophie der Bäckerei ist die Liebe zum Rohstoff. Für den verarbeiteten Kümmel – in der Region Fulda eine wichtige Zutat – schloss Christoph Happ per Handschlag einen Vertrag mit einem Landwirt über eine Anbaufläche von 15 Hektar ab. Der heimische Kümmel war dem Großhandelskümmel geschmacklich so deutlich überlegen, dass für die Familie Happ der doppelte Einkaufspreis gerechtfertigt war. Gleichzeitig lässt sich am Beispiel Kümmel erkennen, wie sorgfältig die Bäckerei auf die Vorlieben der Kundschaft eingeht: Für viele Kunden der Region gehört Kümmel zu fast jedem Produkt, also auch zum Brot. Andere lehnen den Geschmack aber grundsätzlich ab. Deshalb gibt es bei Happ viele Brot- und Kleingebäcksorten in zweifacher Ausführung: einmal ohne, einmal mit Kümmel – ein klassisches Beispiel, wie sich das Handwerk einen Vorsprung vor der Industrie erarbeiten kann. Wer in einem Happ-Fachgeschäft einen Kaffee schlürft, tut das mit dem schönen Gefühl, dass der Bäcker deutlich mehr in die Qualität der Bohnen investiert hat als die meisten Marktbegleiter. Christoph Happ war irgendwann mit der Qualität des gelieferten Kaffees nicht mehr zufrieden. Seitdem kauft und röstet er die Bohnen selbst. Schließlich ist das Unternehmen auch Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit: Unverkaufte Backwaren vom Vortag werden in fünf eigenen Vortagsläden verkauft.
Bäcker müssen bereit sein, sich in der heutigen Zeit immer wieder neu zu erfinden. Das beste Beispiel: Monika und Egon Haag von der Bäckerei Mangold aus Dornbirn in Österreich. Am Anfang ihrer Unternehmenskarriere konzentrieren sie sich auf die Belieferung des Lebensmittelhandels. Die eigenen Fachgeschäfte standen nur für zehn Prozent des Umsatzes. Allerdings musste das Ehepaar nach einigen Jahren feststellen, dass manche Lieferkunden es gerne ausnutzen, wenn man von ihnen abhängig geworden ist. Novizen im Bäckereifilialgeschäft, rissen die beiden das Ruder herum und konzentrierten sich fortan auf den Ausbau der eigenen Fachgeschäfte und insbesondere der eigenen Marke. Wir wissen nicht, ob die beiden Lust haben, Seminare für Kollegen zu veranstalten. Aber wenn Bäcker Fachgeschäfte bauen möchten, die es so bei keinem Kollegen zu bewundern gibt, sollten sie sich unbedingt mit Monika Haag kurzschließen. Und Egon Haag kann Ihnen jederzeit in Euro und Cent vorrechnen, warum kompromisslose Qualitätsorientierung sich auch wirtschaftlich rechnet. Selbst in der Coronakrise konnte die Bäckerei mit 38 Fachgeschäften Absatzmenge und Umsatz auf bestehender Fläche deutlich steigern. Neben die Unabhängigkeit hatte sich das Ehepaar schnell auch noch das Ziel Unverwechselbarkeit gesetzt. Dieser Gedanke zieht sich bis heute wie ein roter Faden durch den Betrieb und reicht bis hin zu Details wie der selbst kreierten Snacksauce. Viele Artikel im Sortiment sind heute sehr aufwändig herzustellen. Weil sich der Wettbewerb die Mühe spart, können die Haags sie aber auch zu angemessenen Preisen verkaufen. Und die langfristigen Ziele für die Bäckerei? Tochter Andrea ist bereits im Unternehmen und mit Prokura in der Finanzbuchhaltung tätig. Sohn Florian hat im Januar 2023 seine Lehr- und Wanderjahre durch die Kollegenbetriebe abgeschlossen und ist nach Dornbirn zurückgekehrt. Monika und Egon Haag sind sich einig: Die neuen, langfristigen Ziele soll die nächste Unternehmergeneration definieren. Ihr Erfolgsmodell muss nicht zwangsläufig das der beiden Kinder sein.
Zugegeben, es ist kein Marktkieker-Kriterium. Trotzdem an dieser Stelle eine Empfehlung: Wenn Sie als Unternehmerin oder Unternehmer einmal die Lust an Ihrem Job zu verlieren drohen, sollten Sie die Brüder Holger und Sascha Linden von der Bäckerei Wildbadmühle zum Abendessen einladen. Die beiden entwickeln genügend mitreißenden Optimismus und Tatendrang, um auch den größten Griesgram anzustecken. Wir wagen deshalb die Prognose, dass diese beiden Bäcker die Branche noch aufhorchen lassen werden – viel mehr, als es die aktuelle Zahl von 15 Fachgeschäften vermuten lässt. Dass sie die Chance bekommen, in einer besonderen Bäckerei zu arbeiten, scheinen auch die Mitarbeiter zu merken. 145 Bäcker und Verkäuferinnen beschäftigt die Wildbadmühle zurzeit. Sage und schreibe 35 davon machen ihre Ausbildung in dem Betrieb. Trotz der hohen Anforderungen haben die beiden Brüder keine Probleme, junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Dabei haben sie ihre soziale Verantwortung immer im Blick. „Wir geben gerne denjenigen eine Chance, die es aufgrund individueller Voraussetzungen schwerer haben als andere“, sagt Holger Linden. Das gilt in besonderem Maße für Menschen mit Behinderungen, deren Inklusion seit Jahren im Betrieb großgeschrieben wird. Auch in diesem Jahr sind wieder mehrere Auszubildende in den Bereichen Verkauf und Bäckerei eingestellt worden, denen sonst zum Teil nur der Weg in eine Werkstatt für behinderte Menschen offen gestanden hätte. Erst vor zwei Jahren hat die Bäckerei die neue, gläserne Backstube mit Café bezogen. Viele Bäcker-Kollegen haben seitdem den Betrieb in Wittlich-Wengerohr besucht, um sich mit den Vorreitern der Tagesbäckerei auszutauschen. Holger und Sascha Linden haben durch Einsatz moderner Technik die Arbeit im Bäckerhandwerk neu organisieren können: Ein Großteil der Nachtarbeit kann nun am Tag erledigt werden. So stimmt nicht nur die Frische in den Fachgeschäften, sondern der Bäckerberuf wird auch für viele Menschen wieder attraktiv. Obwohl viel Schweiß und Gehirnschmalz in die Planung der neuen Backstube geflossen sind, geben die Brüder ihr Wissen übrigens allen Handwerkskollegen weiter. Bäckern, die einen ähnlichen Weg wie sie verfolgen möchten, zeigen Holger und Sascha Linden gerne ihre vorbildliche, gläserne Backstube.
Mit dem Marktkieker für die Wildbakers Jörg Schmid und Johannes Hirth betritt die Jury organisatorisch Neuland: Ausgezeichnet werden die Wildbakers, doch die strengen Kriterien der Jury mussten sowohl die Bäckerei Hirth in Bad Friedrichshall als auch die Meisterbäckerei Schmid in Gomaringen erfüllen. Die Jury befand in beiden Fällen, dass die Betriebe mit ihrem jeweiligen Konzept Vorbild für kleine Filialbäckereien in ganz Deutschland sind, indem sie im Wettbewerb mit großen Filialbetrieben wie die berühmten Schnellboote agieren, die den Tanker ausmanövrieren. Gleichzeitig übernahmen beide Unternehmer ihre Bäckereien in einer kritischen Situation und brachten sie ohne Geld, dafür aber mit viel Fleiß, Ideen, technologischer Kompetenz und einer gehörigen Portion positiver Frechheit wieder auf Spur. Dabei spielte natürlich die Vermarktung der Wildbakers eine nicht unbedeutende Rolle. Ebenso wichtig war der Austausch der beiden Freunde über eine Entfernung von rund 100 Kilometern hinweg. Den Test neuer Ideen übernahm oft einer der beiden als „Projektteam“. So waren Weiterentwicklungen möglich, die sich ein Betrieb allein gar nicht hätte leisten können. Ein schönes Beispiel für die Kooperation im Bäckerhandwerk also. Zielgruppe der beiden Brot-Sommeliers bei ihren Wildbakers-Aktivitäten sind in erster Linie überregionale Brotliebhaber und die regionale Kundschaft. Gleichzeitig haben sie Großes für das moderne Image des Bäckerhandwerks getan und vielen Kollegen in schwierigen Zeiten Mut und Orientierung gegeben. Dass viele Verbraucher heute Brot wieder eine besondere Wertschätzung entgegenbringen, ist auch Jörg Schmid und Johannes Hirth zu verdanken.
Die Organisation des Marktkiekers liegt beim Fachmagazin Back Journal aus der INGER Verlagsgesellschaft in Osnabrück. Mitglieder der Jury sind Jutta Armbruster-Oberdorfer (Bäckerei Armbruster, Preisträger 2012), Dr. Gerhard Bosselmann (Landbäckerei Bosselmann, Preisträger 2000), Reto Fries (Direktor der Bäckerfachschule Richemont, Schweiz), Gerald Geier (Bäckerei Geier, Österreich, Preisträger 2014), Jürgen Hinkelmann (Bäckermeister Grobe, Preisträger 2016), Prof. Michael Kleinert (ZHAW, Wädenswil, Schweiz), Monika Kordhanke (Verlegerin INGER Verlag), Fridjof Olms (Marktkieker-Stifter), Rainer Pastätter (RPPV GmbH), Stefan Soiné (Geschäftsführender Gesellschafter der Ireks GmbH), Dirk Waclawek (Chefredakteur Back Journal) und Michael Wippler (Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks).
Seit der ersten Verleihung 1987 wurde der Marktkieker in diesem Jahr zum 27. Mal vergeben.