Quynh Anh Lai ist am 17. Juni für die Gründung ihrer Patisserie Anjoy Pastry mit dem Trond Patzphal Young Artisan Award ausgezeichnet worden. Mit dem Preis würdigt eine Jury aus Fachjournalisten die Leistung von Existenzgründerinnen und -gründern im Bäcker- und Konditorenhandwerk. Voraussetzung für die Ehrung ist die Entwicklung eines mutigen Konzepts, das dem Handwerk neue Wege aufzeigt, um sich in einem verschärften Wettbewerb zu behaupten. Weiterhin legt die Jury Wert auf die handwerkliche Eigenproduktion auf höchstem Niveau.
Monika Kordhanke, Jury-Vorsitzende und Ehefrau des verstorbenen Verlegers Trond Patzphal, charakterisierte die 35-jährige Preisträgerin Quynh Anh Lai als beeindruckende Persönlichkeit, die ihre Leidenschaft für das Handwerk lebe und mit ihrer Patisserie Anjoy Pastry in Berlin ein überaus mutiges und dennoch tragfähiges Konzept an den Start gebracht habe. „Quynh Anh Lai ist ein Vorbild nicht nur für Gründerinnen, sondern für alle, die im Bereich des Bäcker- und Konditorenhandwerks neue Wege beschreiten wollen.“ Der Erfolg ihres Konzepts beweise, dass in der Branche auch zukünftig Platz sei für spannende neue Ideen jenseits des Mainstreams. „Die Unaufgeregtheit, mit der Quynh Anh Lai Familie und Beruf unter einen Hut bringt, gleichzeitig aber mit unfassbarer Disziplin und Zielstrebigkeit die höchsten Ansprüche an ihre Handwerkskunst und an die Qualität ihrer Produkte stellt, sind für mich absolut auszeichnungswürdig“, erklärte die INGER Verlegerin. „Ich bin sicher, meinem Mann hätte die Wahl der Jury für den ihm gewidmeten Existenzgründerpreis sehr gefallen.“
Geboren 1988 in Vietnam, kam Quynh Anh Lai als Dreijährige nach Deutschland, wo sie aufwuchs. Ebenso wie ihr Mann Van Minh Duong, der Mit-Inhaber der Patisserie ist und sich als Fotograf um das Marketing kümmert, ist sie Kind vietnamesischer Vertragsarbeiter, die zu DDR-Zeiten in Dresden und Leipzig arbeiteten, wo sie regierungsoffiziell zwar willkommen, in Wahrheit aber verachtet und diskriminiert wurden. Ende der Achtzigerjahre gingen Lais Eltern zurück nach Vietnam. 1991 reisten sie – nun mit ihrer Tochter – erneut nach Deutschland, wo sie sich, jetzt in Berlin, als Blumen-, Obst- und Gemüsehändler durchschlugen, ehe sie 2016 am Prenzlauer Berg ein vietnamesisches Restaurant eröffneten, das Anjoy Restaurant. In dieser Branche enterten sie eine neue Stufe, erinnert sich Lai. „Es war die Zeit, in der sich der Trend änderte, von der traditionellen vietnamesischen Küche mit Pfannengerichten, zu einer modernen, die zum Beispiel Ziegen-Carpaccio oder Crepes auf der Karte hat.“ Im Restaurant wurde auch experimentiert, zum Beispiel mit eben der Stinkfrucht Durian.
Um 2018 herum begannen Lai und ihr Mann schließlich, sich Gedanken über die Eröffnung einer eigenen Backstube zu machen. Dann k amen erst einmal Corona und ihr zweites Kind, was sie aber nur bremsen, nicht aufhalten konnte. Im Mai 2022 öffnete das Anjoy Pastry in der Karl-Liebknecht-Str. 23 in Berlin Mitte seine Türen. „Ich habe mein Unternehmen auch mit dem Hintergedanken eröffnet, einen neuen Trend in der Stadt zu setzen“, erinnert sie sich. Das klingt selbstbewusst, doch dieses Selbstbewusstsein ist berechtigt. Ihr Geschäft zeugt von einem Anspruch an Qualität, der sich ganz klar nicht an einem klassischen deutschen Bäcker-Konditor orientiert, sei er auch überdurchschnittlich innovativ. Quynh Anh Lai spielt in einer anderen Liga: Im Gespräch erwähnt sie das Café Maelu aus München, die Patisserien der Galeries Lafayette und des Kaufhaus des Westens als Mäßstäbe, alles Player, die für exzellente Qualität stehen. Aber das ist noch nicht alles, denn in ihrer Art zu backen, hat Lai den Blick auf weltweite Leuchttürme gerichtet. Als gebürtige Vietnamesin ist das interkontinentale Crossover zwischen der europäischen und der fernöstlichen Backkultur quasi schon in ihrer DNA angelegt. „Ich wollte eine französische Patisserie mit asiatischen Einflüssen, die gepaart ist mit deutscher Konditorei“, erzählt sie. Offensichtlich hat diese Melange noch gefehlt, zumindest in Berlin. Lai: „Die asiatische Backkunst erhält ihre Inspiration vor allem aus Japan. Aber dort gibt es keinen Kuchen und kein Feingebäck. Die deutsche Konditorei hingegen ist mit ihrer Vorliebe für Vanille, Schokolade und Haselnüsse ein bisschen konventionell. In der Kombination habe ich eine Lücke gesehen.“ Da verwundert es nicht, dass sie keine Scheu hat, über die Geschmacksgrenzen hinaus zu denken: Für die Kaffee-Mousse Kreation im Sortiment wird der vietnamesische Espresso statt mit Salz mit Fischsauce aufgekocht. Klingt merkwürdig? Nach nur einem Jahr und trotz einer monatelangen Baustelle vor der Tür ist die Gewinnschwelle bereits überschritten.
Der Namensgeber des Preises, Trond Patzphal (* 01.03.1963 / † 15.02.2022), gründete die INGER Verlagsgesellschaft mbH und entwickelte sie als Geschäftsführer zu einer lebendigen Quelle für fundierte Fachinformationen weiter. Trond Patzphal galt als streitbarer Journalist und kreativer Ideengeber. Zahlreiche Neugründungen von Fachzeitschriften für die Back-, Kaffee- und Bio-Branche gehen auf seine Initiative zurück. Patzphal unterstützte zudem auf vielfältige Weise junge Unternehmerinnen und Unternehmer im Bäcker- und Konditorenhandwerk beim Start in die Selbstständigkeit. Der Jury des Marktkiekers, des wichtigsten Branchenpreises im Bäcker-und Konditorenhandwerk, stand er mehr als 20 Jahre vor. Der Trond Patzphal Young Artisan Award soll seine Begeisterung für mutige Ideen weitertragen.
Die INGER Verlagsgesellschaft mbH verleiht den Trond Patzphal Young Artisan Award ab 2023 alle zwei Jahre. Vorsitzende der Jury ist Patzphals Ehefrau und Verlegerin Monika Kordhanke. Weitere Mitglieder der Jury sind Dirk Waclawek (Vizepräsident der Vereinigung der Backbranche, Chefredakteur Back Journal), Bäckermeister Stefan Schütter (Chefredakteur Artisan) und Bäckermeister Christian Bremicker.