Käfighaltung

Käfighaltung

24.03.2024 | Christian Bremicker

Neulich im Supermarkt kam eine Mitarbeiterin strammen Schrittes und strengen Blickes auf mich zu. „Tragen Sie bitte auch Handschuhe!“, rief sie schon von Weitem. Gerade als ich in eine wortreiche Rechtfertigung starten wollte, wurde mir klar, dass sie mich gar nicht meinte. Gar nicht meinen konnte. Seit einiger Zeit trägt niemand mehr Maske im Supermarkt – geschweige denn Handschuhe. Einzige Ausnahme: Der im Käfig gehaltenen Brötchen (auch wenn ich diese schöne Bezeichnung für einige der gemeinten Exemplare wenig angebracht halte) kann der geneigte Endkunde nur habhaft werden, wenn er seine Finger in eben jenen Handschuhen vergräbt, deren Tragen die Mitarbeiterin so vehement angemahnt hatte. Nach kurzem Suchen entdeckte ich dann den Übeltäter: Ein männlicher Kunde mittleren Alters hatte es tatsächlich gewagt, seine unbehandschuhten Greifer in jene Öffnung zu stecken, die gemeinhin den Zugang zu sogenannten Backwaren verspricht. Gerade war er dabei, seine Beute in eine der bereitgelegten Tüten zu verstauen, als die besagte Mitarbeiterin auf ihn zustürmte. Er war aber wenig beeindruckt vom Gebahren der Supermarktangestellten und quittierte ihre Forderung mit einem fast gelangweilten: „Ja, ja“. Um sich besser vorstellen zu können, wie dankbar, ja, geradezu euphorisch er auf diesen Hinweis reagierte, denken Sie kurz an den Film „Werner – Beinhart“. Auch dort findet sich der Ausdruck „Ja, ja“, und es wird auch erklärt, was das bedeutet: „Ja, ja, heißt: Leck mich am A…!“. Wem dieser Ausdruck zu wenig kultiviert erscheint, möge an Goethes Götz von Berlichingen denken. Ja, genau an das Zitat, welches es als einziges aus diesem Werk in die Gegenwart geschafft hat. Gesichtsausdruck und Tonfall des zwangsbehandschuhten Kunden ließen mich nicht darauf hoffen, dass er beim nächsten Griff in den Brötchenkäfig freiwillig die geforderten Hygienemaßnahmen einhalten würde. Ich habe keine Ahnung, wie viele Kunden der von mir besuchte Supermarkt täglich hat. Noch weniger weiß ich, wie viele von denen sich am Brötchenkäfig ohne Handschuhe selbst bedienen. Ganz sicher scheint mir aber, dass es mir als Marktbetreiber zu viele ungewaschene Finger an den Brötchen wären. Als Kunde wären es mir übrigens auch zu viele. Ich verstehe also nicht, warum das Bäckerhandwerk eine penible und lückenlose Dokumentation der Hygienemaßnahmen im Betrieb führen muss, während der LEH große hygienische Risiken durch das bloße Bereitstellen von Handschuhen zu minimieren scheint. Dass das den Veterinärämtern ausreicht, ist für mich völlig unverständlich. Dabei heißt es doch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Jetzt komme ich aber zum schmerzhaften Teil meiner Beobachtung: Der Brötchenkäfig erfreut sich großer Beliebtheit. Schon ein kurzes Verweilen und Beobachten verrät, dass sich eine Menge Kunden seiner Backwaren (selbst-) bedient. Darüber können wir uns aufregen und auf die vermutlich miese Qualität jener Backwaren schimpfen. Bringt aber nichts. Über die Qualität der angebotenen Backwaren will ich nicht spekulieren. Offensichtlich ist sie aber nicht so schlecht, dass das die Kunden vom Kauf abhalten würde. Meist sind sie sogar sehr frisch, da sie direkt hinter dem SBRegal gebacken werden. Und über den Aspekt, dass das alles nur TK-Produkte seien, dürfen wir uns auch nur ganz leise ärgern. Ich will keinen Blick in Ihren Froster werfen, aber die bloße Präsenz der vielen Convenience-Hersteller mit Ihren Croissants, Laugenecken und Schokobrötchen deutet darauf hin, dass diese Hersteller ihre Produkte auch irgendwem verkaufen. Es könnte also sein, rein hypothetisch, dass der Ursprung des Käfigcroissants und des eigenen Croissants ähnlich, wenn nicht gar gleich ist. Wer sollte es vor diesem Hintergrund einem Kunden verdenken, wenn er sich für das günstige Croissant des Supermarktes entscheidet? Die Devise kann also nur lauten: Eigene Produkte mit Geschichte herstellen und möglichst viel darüber sprechen. Zum Beispiel über Social Media. Das schaffen wir, da bin ich zuversichtlich.


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