Alles, außer Slalom

Alles, außer Slalom

15.05.2021 | Christian Bremicker

Sie kennen doch bestimmt Pippi Langstrumpf. Das stärkste Mädchen der Welt, die der Fantasie der schwedischen Schriftstellerin Astrid Lindgren entsprungen ist. Eine weitere Figur aus dem Lindgren- Universum ist die etwas weniger bekannte Lotta aus der Krachmacher- Straße. Eine wesentliche Charaktereigenschaft des jungen Mädchens von vielleicht vier Jahren ist ihr unerschütterliches Selbstbewusstsein. Das gipfelt in ihrer Feststellung „Eigentlich kann ich fast alles“. Diese Überzeugung scheint auch in sehr vielen deutschen Backstuben vorzuherrschen – so wenigstens mein Eindruck. Viele Bäcker können einfach alles: Vom Petit Four über das echte französische Baguette bis hin zum kernigen Schwarzbrot. Vielleicht stimmt das sogar. Schließlich steht es jedem Bäcker frei, sich weiter- und weiterzubilden. Wer dann noch mit der erforderlichen Leidenschaft zu Werke geht, kann ein sehr großes Spektrum der verschiedenen Backwaren abbilden. Die Frage ist nur, ob das sinnvoll ist. Vermutlich freuen sich viele Kunden, wenn sie eine große Auswahl beim Bäcker ihres Vertrauens vorfinden. Allerdings sollte die Qualität jedes einzelnen Produktes nicht nur gut, sondern umwerfend sein. Und an dieser Stelle kommen mir gelegentlich Zweifel, ob das im Alltag tatsächlich umzusetzen ist. Verstehen Sie mich nicht falsch: Mit Sicherheit sind Sie in der Lage, ganz unbeschreibliche Petit Fours, Baguettes und auch Schwarzbrote zu zaubern. Aber was schrieb mein Verleger erst kürzlich in einem anderen Zusammenhang in der DBZ: „Zeit ist nicht vermehrbar.“ Das ist das ganze Dilemma. Wenn ich ein Premiumprodukt backen möchte, muss ich mir dafür Zeit nehmen. Da ist Sorgfalt gefragt und kein Hopplahopp. Will ich ausschließlich Premiumprodukte herstellen, muss ich mir noch mehr Zeit nehmen – aber diese ist, wie eben gesehen, nicht vermehrbar. Irgendwann ist diese Ressource erschöpft. Nun gibt es mehrere Lösungsansätze. Die Option, weniger gute Backwaren anzubieten, ist im Grunde gar keine und scheidet somit aus. Nun können sie weiteres Personal einstellen. Zum Beispiel eine Bäckerin, die vorzügliches Schwarzbrot macht oder einen Konditor, dessen Petit Fours auch den letzten Franzosen überzeugen. Bei dieser Suche wünsche ich viel Glück. Die letzte verbliebene Möglichkeit war bei den Bäckern meiner Familie immer verpönt und deswegen nicht genutzt: der Zukauf. Damit meine ich nicht, die gefrosteten TK-Croissants zuzukaufen und diese dann als die eigenen anzubieten. Sondern eine kommunizierte und offene Kooperation. Kaufen Sie zum Beispiel eine Sorte bestes Bio-Brot zu und machen das für ihren Kunden deutlich sichtbar. Er wird nicht Ihre Fähigkeiten als Bäcker anzweifeln, sondern die Qualität Ihrer großen Auswahl bewundern. Eine offene und für den Kunden nachvollziehbare Kooperation ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Weitsicht. Selbst Lotta aus der Krachmacherstraße sieht ja ein, dass sie nur fast alles kann. Alles, außer Slalom fahren. Vielleicht haben sie auch einen Slalom, den jemand anderes für Sie fahren könnte.


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