Gründe liefern.

Gründe liefern.

15.02.2022 | Christian Bremicker

Wie unterschiedlich die Dinge doch sein können: Vor etwa vier Monaten trieb die versammelte deutsche Medienmeute das Ein-Euro- Brötchen durch das Dorf. Was war geschehen? Da hatte sich jemand ausgemalt, wohin es führen müsste, wenn die Preise für Rohstoffe, Energie und Personal so weiter stiegen, wie es nachweislich geschehen ist. Fazit: Irgendwann wird das Brötchen wohl einen Euro kosten (müssen). Während in Deutschland der augenscheinlich zu hohe Preis für’s Brötchen hohe Wellen schlägt, ist es in Frankeich der zu niedrige Baguette-Preis, der dem Bäckern die Schweißperlen auf die vermehlte Stirn treibt. Was ist hier passiert? Die große französische Supermarktkette Leclerc hat den Preis für ein Baguette mit 250 Gramm auf 0,29 Euro gesenkt. Damit wolle man die Kaufkraft der Kunden stärken. Was hierzulande wahrscheinlich nur ein Schulterzucken ausgelöst hätte, führte bei unseren Nachbarn zu einem Tsunami der Entrüstung. Die Bäcker sehen sich und ihre Arbeit weniger wertgeschätzt, die Müller fragen sich, woher Leclerc das Mehl für die Billig- Baguettes bezieht und auch Dominique Anract, Präsident von Frankreichs landesweitem Verband der Bäcker und Konditoren CNBPF, sieht eine Gefahr: „Leclercs Aktion lässt uns wie Halunken aussehen – als ob wir mit unseren Preisen die Kunden über‘s Ohr hauen wollen.“ Das sagte er der Deutschen Welle. Er geht sogar so weit, eine Klage prüfen zu lassen, weil es in Frankreich gesetzlich verboten ist, unter den Produktionskosten zu verkaufen. Das Baguette gehört in Frankreich neben dem Croissant sicherlich zu den Produkten aus der Backstube mit dem höchsten Stellenwert. Manch einer spricht auch gern vom Nationalheiligtum. Da tut es weh, wenn es unter Wert verkauft, ja verramscht wird. Wie sehen wir das? Sind unsere Backwaren zu teuer oder zu billig? Ich musste auf der Suche nach einer Antwort an den britischen Sozialphilosophen John Ruskin denken. Dieser erkannte schon vor dem Jahr 1900: „Das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten. Nehmen Sie das niedrigste Angebot an, müssen Sie für das Risiko, das Sie eingehen, etwas hinzurechnen. Und wenn Sie das tun, dann haben Sie auch genug Geld, um für etwas Besseres zu bezahlen.“ Ruskin rät dem Kunden davon ab, sich stets für das günstigste Angebot zu entscheiden, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Nun halte ich das Risiko bei einem 29-Cent-Baguette für überschaubar. Aber Ruskin zeigt, worauf unser Fokus liegen sollte, wenn wir angemessene Preise erzielen wollen: Darauf den Kunden zu überzeugen. Von uns als Bäcker und von unseren Backwaren. Die einen prophezeien das Ein-Euro-Brötchen, die anderen gehen mit Dumping-Preisen an den Markt. Wenn der Kunde etwas wirklich will, wird er dafür auch einen angebrachten Preis zahlen (wollen). Es liegt an uns, ihm dafür genügend Gründe zu liefern. Neben umwerfenden Backwaren sollten das eine Geschichte, viel Transparenz und nicht zuletzt auch Kompetenz sein. Ihnen fällt sicherlich noch mehr ein. Da bin ich zuversichtlich.


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