Hallo, hier ist dein Gärraum.

Hallo, hier ist dein Gärraum.

17.03.2022 | Christian Bremicker

Bisher waren mir solche Begriffe wie KI – also Künstliche Intelligenz –, Logarithmus oder Stochastik eher fremd. Mein leidgeprüfter Mathelehrer könnte ein Liedchen davon singen. Ich kann zwar nicht behaupten, diesbezüglich inzwischen zum Experten geworden zu sein, aber langsam werden die Begriffe etwas konkreter. Neulich hörte ich zum Beispiel von einer großen Kunstausstellung, einer sogenannten Biennale, in der rumänischen Hauptstadt Bukarest. Sie findet alle zwei Jahre statt und wird dieses Jahr Ende Juni eröffnet. Sie zeigt, was Kunst so alles kann. Aber nicht die Ausstellung an sich war es, was mich aufhorchen ließ, sondern, wer sie kuratiert hat. Ein Kurator versucht, der Ausstellung einen roten Faden zu geben. Er entscheidet, welcher Künstler was zeigt und in welchem Zusammenhang was auftaucht. Der Kurator in Bukarest heißt Jarvis. Große Künstler kommen ja bekanntlich allein mit einem Vornamen aus – man denke an die Popikone Madonna oder den brasilianischen Fußballer Ronaldo. Jarvis hat aber diesen beiden eines voraus: Er altert nicht. Um genau zu sein: Sie altert nicht. Denn bei Jarvis handelt es sich um eine Künstliche Intelligenz. Sie hat eine Unmenge an Daten über Kunstwerke gelernt; Formen, Farben, Stile und vieles mehr wurden erkannt und miteinander verglichen. Im Anschluss daran wählte Jarvis die teilnehmenden Künstler und deren Werke für die diesjährige Biennale in Bukarest aus. Die Ausstellung ist fertig und es wird spannend sein, zu beobachten, welche Zusammenhänge es zwischen den Kunstwerken gibt, die KI Jarvis entdeckt hat, oder welchen roten Faden sie verfolgt. An dieser Stelle wird es aber Zeit, zuzugeben, dass auch meine Kunstlehrerin so ihre Zweifel an meinen Fähigkeiten hatte. Zurecht. Wahrscheinlich würde ich in Bukarest keinen roten Faden entdecken, selbst wenn er den Durchmesser von Ronaldos Oberschenkel hätte. Aber in der Backstube erkenne ich Künstliche Intelligenz, wenn ich sie sehe. Keine Anfrage an die großen Hersteller von Öfen, Kälteanlagen oder Knetern geht raus, ohne mich nach den Möglichkeiten einer digitalen Verknüpfung zu erkundigen. Der Kneter stellt selbstständig fest, dass der Teig fertig ist, und meldet es dem Gärraum, der sich nun entsprechend aufheizen kann. Im Gärraum erkennen Sensoren die optimale Reife der Teiglinge und geben dem Ofen Bescheid. Das ist zwar noch lange nicht die Regel, aber Science Fiction ist es eben auch nicht mehr. Selbst kreative Aufgaben in der Kunst kann KI inzwischen übernehmen, da wird es nicht mehr lange dauern, bis dies auch in unserer Bäckerei alltäglich wird. Als vor über hundert Jahren die ersten Kneter in unseren Backstuben aufkamen, wollten die Bäcker zunächst nichts davon wissen. Heute ist eine Backstube ohne Kneter unvorstellbar. Ich denke, die KI wird schneller zur Normalität werden, als wir es uns jetzt vorstellen mögen. Nutzen wir die Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben – anstatt immer zu behaupten, früher sei alles besser gewesen. Wir kriegen das hin, da bin ich zuversichtlich.


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