Es geschieht fast täglich. Mut- willig, ja vorsätzlich entreißen die Täter, was uns lieb und teuer ist. Nein, kein Geld, keine Juwelen und auch nicht Oppas Geheimrezept für den Lebkuchen! Es geht mir um Worte! Begriffe, die wir seit jeher in unserem Wortschatz hüteten, werden uns geraubt und plötzlich anders genutzt. Beispiel: Querdenken. Das war einmal eine Tugend! Wer quer dachte, schaute über den Tellerrand, näherte sich einem Thema mit veränderter Perspektive. Heute assoziiert man demonstrierende Deppen, die irgendwelchen Verschwö- rungstheorien anhängen. Und wenn wir schon in dieser Ecke sind: Da trägt eine Partei den Begriff „Alternative“ im Namen, ohne auch nur eine einzige ernstzunehmende anzubieten. Wer eine Alternative hat, kann zwischen zwei Möglichkeiten wählen. Plan A oder Plan B. Einfach nur dagegen zu sein ist weder A noch B. Häufig ist es schlicht Populismus, der laut wird, Schaum vor dem Mund bekommt und die einfachen Lösungen propagiert. Aber ich schweife ab. Mir geht es um geraubte Begriffe. Ein anderes schönes Beispiel ist die Leistungsgerechtigkeit. Wer viel arbeitet und fleißig ist, soll mehr haben als der, der nicht so viel Leistung erbringt. Ist ja ein durchaus nachvollziehbarer Gedanke. Es ist allerdings falsch zu glauben, dass alle Menschen, die viel haben, besonders viel Leistung erbracht hätten. Erinnern Sie sich an Martin Winterkorn? Der war Chef bei Volkswagen, als der Skandal mit der Diesel-Betrugssoftware ans Licht kam. Dieser hat VW bis heute etwa 32 Milliarden Euro gekostet! Winterkorn musste gehen, bekam aber bis dahin bis zu 15 Millionen Euro Jahresgehalt. Und da frage ich mich schon: wofür? Mal angenommen, Ihre Bä- ckerei liefe so richtig gut und sie könnten 100.000 Euro im Monat auf die hohe Kante legen. Dann bräuchten Sie lediglich zwölfeinhalb Jahre, um auf ein Winter- korn-Jahresgehalt zu kommen. Sie merken: Mit Leistung hat das nichts zu tun. Okay, das ist nicht ganz fair. Man müsste ja auch den Zinseszins berücksichtigen. So könnten Sie schon einige Jahre früher dem Millionärsklub beitreten. Na dann, Grüße an Martin! Ein Beispiel aber, das mich wirklich ärgert, wenn es um geklaute Begriffe geht, ist der des Handwerks. Jeder noch so große Backbetrieb bedient sich dessen. Selbst, wenn der Industriebäcker Werbung macht, spielt er mit den entspre- chenden Bildern: Gut gelaunte Bäcker, die den Brotteig mit den eigenen Händen kneten, rund- und langmachen, gekonnt mit dem Messer einschneiden, einschießen und letztlich den duftenden Laib aus dem Holzofen ziehen. Aber es wäre ja wenig werbewirksam, wenn die Industrie große Maschinen in Edelstahloptik zeigen würde, die letztlich genau das überflüssig machen, was der Kunde sehen will: das Handwerk. Chapeau, das hat die Industrie gut hinbekommen. Wenn wir aber ganz ehrlich sind und unsere mehlverstaubten Hände auf unser aufrichtiges Bäckerherz legen, so müssen wir wohl erkennen, dass auch in kleineren Backstuben nicht immer das pure Handwerk zu finden ist. Teigteiler sowie Rund- und Langwirker sind auch hier häufig gegenwärtig – und das ist auch gut so. Schließlich muss man sich Ent- lastung holen, wo man sie kriegen kann. Aber zurück zum Diebstahl von Begriffen. Dem können wir nämlich entgegenwirken – wenigstens, wenn es ums Handwerk geht. Dazu wäre es gut zu wissen, was das Handwerk ausmacht. Ich denke, hier ist es sinnvoll, nicht nur auf das maschinenlose Arbeiten zu setzen. Weil es schon ge- genwärtig kaum in Reinkultur stattfindet, aber vor allem, weil es in Zukunft immer weniger möglich sein wird. Fachkräftemangel, dies, das. Es gibt da aber noch ein weiteres Merkmal handwerklicher Betrie- be: Sichtbarkeit. Die meisten handwerkli- chen Bäckereien dürften Familienbetriebe sein, die ihre Tradition über Generationen hinweg pflegen. Das ist das Gegenteil von den anonymen Backwaren der Groß- und Industriebäcker. Wer beim Handwerksbäcker einkauft, trifft auch mal den Chef, der hinter der Theke seinen Kaffee holt. Hand- werkliche Bäcker verstecken sich nicht hinter wohlklingenden Slogans wie „Wir backen noch mit Herz und Hand!“, denn der Kunde weiß, dass hier noch Gerhard und Olga backen. Dieses „Einander-Kennen“ klappt nur im Handwerk. Bäcker- Handwerk ist Top-Qualität mit Gesicht!
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