Innung, was nun?

Innung, was nun?

01.03.2019 | Trond Patzphal

Gedanken zum Verbandwesen im deutschen Bäcker- und Konditorenhandwerk.
Oder: Warum wir eine Revolution in unserer Organisationsstruktur brauchen.

Man muss es in aller Deutlichkeit sagen, damit es auch der letzte versteht: Die Politiker und Bürokraten in Deutschland und Europa haben dem Handwerk den Kampf angesagt. Verbände in Europa und Deutschland versuchen dem Regulierungswahn zwar entgegenzutreten, doch für das Bäckerhandwerk sieht es derzeit keinesfalls gut aus. Da stehen Politiker, die in Ihrem Leben noch nie einen Euro erwirtschaften, geschweige denn ein Unternehmen führen mussten, in Verhandlungen mit Bäcker- Verbandsgeschäftsführern, die leider auch nicht immer den Bäcker- und Konditorenalltag kennen. Beide haben noch nie erlebt, wie es ist wenn der Zoll im Laden steht oder die Banken schwierige Fragen stellen. Dabei ist, wenn hierzulande verhandelt wird, das Kind schon lange in den Brunnen gefallen. Zwei Drittel aller Gesetze die unsere Branche betreffen, werden aus Brüssel kommend nur noch in nationale Gesetzgebung „gebacken“ und bestimmen unser Leben! Trotzdem leistet es sich das Bäckerhandwerk, in Brüssel nur schwach vertreten zu sein, während das Geld im Land in völlig überkommenen Strukturen versickert. Ohne professionelle, eigene Mitarbeiter in Brüssel kommen wir nicht weiter! Ohne enge Zusammenarbeit von Groß- und Handwerksbäckern auf europäischer Ebene auch nicht. Unser Handwerk braucht starke, aber weniger Verbände. Unsere Interessenvertretung muss es mit der Bürokratie in Brüssel, Berlin und den Bundesländern aufnehmen können. Stand heute sind wir dazu nicht in der Lage. Es kann nicht sein, das wir immer noch über die Fusion von Rheinländern und Westfalen reden, weil man sich nicht über die Fachschule Olpe einigen kann – die, was wenige wissen, nach dem Krieg einmal eine Bundesfachschule des Bäckerhandwerks war. Immer offensichtlicher wird, was in der Branche passieren muss: Es braucht eine Verbandsreform und eine abgestimmte Vorgehensweise für die Zukunft des deutschen Bäcker- und Konditorenhandwerks wie der Großbäcker. Viele Bäckerinnungsverbände haben in den letzten 20 Jahren die Hälfte ihrer Mitglieder verloren, leisten sich aber weiter einen Apparat, der niemals angepasst wurde. Vermögen, dass Generationen von Bäckern erwirtschaftet haben, wird verpulvert statt für eine sinnvolle Lobbyarbeit verwendet. Die Landesinnungsverbände müssen schneller zusammen fusionieren um leistungsfähiger zu werden! Davon sind wir aber noch weit entfernt. Wie konnte es so weit kommen? Die Verbandsstrukturen im Bäckerhandwerk hängen der realen Welt und dem Marktgeschehen um Jahrzehnte hinterher. Die Finanzierung der Verbände ist komplex. Einmal eroberte Einflusssphären aufzugeben kommt nicht in Frage, es könnte einen ja am Ende des Tages Geld kosten. So stehen wir vor der Situation, dass schon heute Verbände eigentlich keine Tarifverträge mehr abschließen dürften (manche machen es ja auch nicht mehr), weil sie zu klein geworden sind oder in ihrem Gebiet nur noch eine Minderheit der Bäcker vertreten. Manchmal ist auch das Ehrenamt zu langsam, um mit den sehr dynamischen Entwicklungen im Ernährungshandwerk Schritt zu halten. Da können wir uns schon ein Vorbild bei unseren Wirtschaftsorganisationen nehmen, die Bäkos in Deutschland sind hier sicher auf dem richtigen Weg! Das Ehrenamt spielt bei jedem Verband eine wichtige Rolle und wir wollen es hier einmal für die drei Verbände bewerten: Bei den Großbäckern spielte es lange Jahre keine Rolle. Das Ehrenamt war nur geduldet, der intellektuelle Abstand zur Geschäftsführung entsprach einer Reise von der Erde bis zum Mond. Das hat sich erst seit Helmut Klemme geändert und Frau Dettmers macht eine gute Arbeit. Geschäftsführer Armin Junkker wäre eine Idealbesetzung für Brüssel! Der Verband ist wirtschaftlich ordentlich aufgestellt. Den ehemaligen langjährigen Präsidenten der Konditoren, Otto Kemmer, habe ich in Würzburg mehrfach besucht. Wenn man seine Arbeit gutwillig bewertet, hat er für den Bestand seines Verbandes gekämpft. Bei genauerem Hinsehen wird aber klar, dass er nichts von den aktuellen Problemen verstanden hat und damit seinen Mitgliedern einen Bärendienst erwiesen hat. Sein Nachfolger Schenk hat nicht erkennen lassen, dass er dem Bäckerhandwerk näher kommen oder etwas ändern möchte. Die finanzielle Situation der Konditoren ist mehr als bescheiden, so kann Interessenvertretung nicht funktionieren. Die meisten Konditoreninnungen haben sich mehr oder weniger aufgelöst. Wie ist die Situation bei den Handwerksbäckern? Mit Peter Becker kam die Internationalisierung des deutschen Bäckerhandwerks (der erste Präsident, der fließend und gut englisch sprach) und der das „Asset“ iba in seinem Wert verstand. Er war der Erste, der sich kritisch zum übertriebenem Einsatz von Backmitteln und Teiglingen im deutschen Bäckerhandwerk äußerte und er war es auch, der die iba als das Finanzinstrument des Zentralverbands des deutschen Bäckerhandwerks etablierte. Wer es noch nicht wusste: Die iba gehört keiner Messegesellschaft, sondern allein dem deutschen Bäckerhandwerk. Sie ist ein wichtiges Finanzierungsinstrument des Zentralverbands. Der Zentralverband ist finanziell kerngesund. Der Tag des Brotes (analog zum französischen Fest des Brotes) war Beckers Idee und es war eine Gute! Michael Wippler hat dieses Erbe übernommen und führt es auf seine sehr sympathische Art und Weise mit viel Engagement fort. Er hat verlauten lassen, dass die Türen des Bäckerhandwerks für Großbäcker und Konditoren immer offen stehen. Vor einem Jahr hat der Zentralverband eine Umfrage unter den Innungsbäkkern über die Arbeit ihrer Innungen und Verbände initiiert. Wir wissen nicht, was dabei herausgekommen ist. Wohl haben wir aber gehört, dass die Ergebnisse auf Präsidiumsebene strategisch ausgewertet werden. Natürlich würden wir gern auch einen Blick auf die Umfrage werfen hoffen immer noch, dass sie einmal vollständig an die Presse gegeben werden. An Wippler liegt es jetzt, die großen Aufgaben, die vor uns stehen, anzugehen. Und zu den wichtigsten Aufgaben gehört die Reform der Verbandsstrukturen. Ich plädiere für eine Neuordnung des Bäckerhandwerks in vier bis fünf Landesverbände, einen im Norden, einen im Osten, einem im Westen, einen im Süden Deutschlands. Vielleicht ergänzt um eine Sonderlösung für Bayern, jeweils vereinigt mit den Konditoren. Zu guter Letzt sollten sich die Großbäcker mit dem Zentralverband des Bäckerhandwerks zusammenschließen. Dann gibt es nur noch einen Zentralverband der Bäcker und Konditoren, der die europäische Lobbyarbeit endlich wirkungsvoll koordinieren kann. In einem föderalen Deutschland haben die Landesverbände ihre Berechtigung, viele Ideen für Landesgesetze (siehe Hygieneampel) können auch nur von Landesverbänden begleitet werden, aber sie müssen schlagkräftiger werden! Wer diese Forderung für übertrieben hält, verschließt die Augen vor der Realität. Wir brauchen keine Reform der Verbände, wir brauchen eine Revolution in den Verbänden, einen Aufbruch! Noch einige Gedanken zu den Innungen. Schauen wir uns zunächst einmal an, welche Aufgaben einer Innung nach der Handwerksordnung zugedacht sind: Förderung der gemeinsamen gewerblichen Interessen ihrer Mitglieder Pflege des Gemeingeistes und der Berufsehre sowie Förderung eines guten Verhältnisses zwischen Meistern, Gesellen und Lehrlingen Bildung von Prüfungsausschüssen und Abnahme von Gesellenprüfungen nach § 33 Handwerksordnung im Auftrag der Handwerkskammer. Förderung des handwerklichen Könnens der Meister und Gesellen (z. B. durch Fachschulen oder Lehrgänge) Erstellung von Gutachten und Auskünfte über Angelegenheiten der in ihr organisierten Handwerke Vermittlung bei Streitigkeiten zwischen Mitgliedern und ihren Auftraggebern. Und jetzt prüfen wir einmal ganz ohne Voreingenommenheit, wie viele Innungen den eigenen Ansprüchen wirklich noch genügen. Es sind die wenigsten. Mit der Übertragung der Geschäftsführung einer Innung an eine Kreishandwerkerschaft hat eine Innung bereits die Hälfte ihre Seele verkauft, das muss man leider so hart sagen, denn viele Kreishandwerker-schaften verfolgen primär Eigeninteressen. Um die dringend notwendige Fusion noch ein paar Jahre aufzuschieben, wird der Obermeister gedrängt, die Beiträge, die sie heute noch an die Landesfachverbände abführen, für die KHW zu behalten. Dabei brauchen wir leistungsfähige Innungen. Wie das aussehen kann, zeigt seit dem 1. Januar 2000 die Innung Rhein Ruhr, entstanden aus den bis dahin selbstständigen Bäcker-Innungen Düsseldorf, Duisburg, Essen, Mülheim und Oberhausen. Zum 1. Januar 2010 kam noch die Innung Mettmann dazu. Die Arbeit vor Ort muss gar nicht unter der Größe leiden, wie die Düsseldorfer Bäcker zeigen, die mit ihrer „Regionalinnung” ein sehr aktives Innungsleben entfalten. Unser Handwerk muss sich wichtig nehmen und nationale Werbekampagnen starten! Die Nähe zum Springer Konzern ist hier sicherlich nicht hinderlich, eine gute Werbeagentur wäre förderlich! Hier noch einige Sätze zur Verantwortung der Funktionsträger im Ehrenamt und der Geschäftsführung in unseren Bäckerverbänden. Ziel eines Verbandes in unserer Branche darf nicht sein, dass alles so bleibt wie es ist, weil man sich bequem eingerichtet hat. In Deutschland reichen maximal vier Fachschulen für die Ausbildung von Bäckern, Konditoren, Verkäuferinnen und für die Meisterkurse. Das heißt im Umkehrschluss eben auch, dass Fachschulen geschlossen werden müssen. Und es ist im übrigen auch nicht richtig, das Landesinnungsverbände die keine Fachschule haben, aus dem „Finanztopf Bildungswerk“ dieselben Beiträge ausgeschüttet bekommen, wie die, die keine haben! Das sollten schon gerechter stattfinden, weil sonst wohl auf mittlere Zeit die Fachschulen des Bäckerhandwerks Geschichte sind. Wenn ich mir unser Handwerk in seinen Verbandsstrukturen ansehe, leisten wir uns noch eine Kleinstaaterei wie Deutschland im 18. Jahrhundert. So können wir auf Brüsseler Ebene nicht erfolgreich sein. Wir brauchen eine starke deutsche Fraktion bei den europäischen Bäckern, nur so lassen sich verrückte Gesetzinitiativen aus dem europäischem Raum stoppen! Also lassen Sie uns was ändern.


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