Neulich war ich früh un- terwegs (nicht im Bäcker- Sinne früh, eher so gegen sieben Uhr) und verspürte ein leichtes Hungergefühl. Ich hielt bei einem unserer Kollegen – und während ich wartend vor der Theke stand, bemerkte ich sie: Im Café-Bereich hinter mir saßen etwa fünf bis sechs Rentner. Vor ihnen auf den Tischen halb- leere Kaffeetassen und bekrümelte Teller. Ich kam nicht umhin, meine Ohren etwas zu spitzen. Es gab den einen, der Ton und Thema vorgibt. Der bestimmte, worum es ging und wie man dazu stand. Beispiel: Fußball. Der Rädelsführer wusste nicht nur alle Ergebnisse, er wusste auch, wie und warum sie zustande gekommen wa- ren. Dann gab es mehrere andere, die dem Silberrücken stets beipflichteten und damit seine herausgehobene Stel- lung legitimierten und untermauerten. Einzelne Gegenstimmen wurden unter schallendem Gelächter abgetan und für ungültig erklärt. Die in solchen Kreisen diskutierte Welt ist häufig einfach ge- strickt. Wie formulierte es der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika einst? „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“ Als George W. Bush regierte, dachten wir noch, es könne nicht schlim- mer kommen, erinnern Sie sich? Was ha- ben wir uns getäuscht – aber das ist ein anderes Thema. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich möchte die beschriebenen mor- gendlichen Gruppen nicht verurteilen! Schließlich sind es lediglich kleine Ge- plänkel, die letztlich nur der Unterhaltung der Teilnehmenden dienen. Kleine Späße, bei denen jeder weiß, wie sie einzuschät- zen sind. Vor allem aber: Sie finden in einem geschlossenen Raum statt. Das hat sich in letzter Zeit stark verändert. Nicht, dass der Kreis jener morgendlichen, kaf- feetrinkenden Rentner unüberschaubar stark angewachsen wäre. Aber der Ort der Diskussion hat sich verschoben. Sie fin- det nicht mehr nur bei Kaffee und Mett- brötchen in unseren Cafés statt. Auch im digitalen Raum wird heftig gestritten. Egal, ob auf Facebook, Instagram oder Twitter, was sich neuerdings grundlos „X“ nennt. Im Unterschied zu „unseren“ Plauderstündchen fliegen im digitalen Raum häufig stark die Fetzen. Es wird be- leidigt, gegiftet und gekränkt. Manchmal wird es gar justiziabel. Klar, das Niveau in unseren Herrenrunden ist auch nicht immer wirklich hoch angesiedelt. Häufig bleibt die Bild-Zeitung die einzig genann- te Quelle. Der große Unterschied ist aber, dass man sich an unseren Café-Tischen kennt und einschätzen kann. Wenn sich hier ein Gast, nennen wir ihn Klaus, da- nebenbenimmt, dann können alle an- deren das einordnen. Wahrscheinlich wissen sie, dass der arme Klaus gerade Stress mit seiner Trixi hat. Sobald sich die beiden aber vertragen haben, entspannt sich Klaus und rüstet verbal wieder ab. Solche Hintergrundinformationen fehlen im digitalen Raum in den meisten Fäl- len. Regt sich unser Klaus dort auf, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass er von irgendwem Applaus bekommt. Und weil dem Klaus das gefällt, macht er weiter und wird immer extremer – weil das so gut ankommt. In unseren Café-Runden würde Klaus schon lange wieder über den verkorksten FC Schalke reden, im Netz surft er auf der großen Empörungswelle. Ganz ehrlich, ich wollte mich nicht zum Rentner-Club dazusetzen. Aber sie sind mir allemal lieber als digitale Diskussi- onen mit anonymen Spinnern. Denn die morgendlichen Altherrenrunden wissen genau, wer der Depp ist. Eigentlich wollte ich etwas Besinnliches schreiben – beim nächsten Mal vielleicht. Bis dahin: Frohe Weihnachten!
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