Lutz der Hofnarr?

Lutz der Hofnarr?

17.02.2024 | Christian Bremicker

Ich verrate Ihnen etwas: Ich mag Lutz Geißler. Sollte Ihnen dieser Name gänzlich unbekannt sein, spricht das dafür, dass Sie nur wenige der gängigen Talkshows schauen. In diesen ist Lutz Geißler nämlich häufig zu Gast. Dort referiert er über ein Thema, welches uns vertraut sein dürfte. Er spricht gern übers Backen. Dabei ist er gar kein gelernter Bäcker. Stattdessen ist er diplomierter und mehrfach ausgezeichneter Geologe, was er nicht müde wird zu betonen und womit er gerne kokettiert. Aber ich mag ihn. Wahrscheinlich, weil er tatsächlich Ahnung vom Brotbacken zu haben scheint. Als Hobbybäcker begann er, einen Blog über seine Erlebnisse und Erfahrungen beim Brotbacken zu schreiben. Inzwischen hat er in seinem sogenannten „Plötzblog“ viel Wissenswertes zum Thema Backen gesammelt, Rezepte ausgearbeitet und erprobt sowie zahlreiche Hinweise zu Problemen anderer Hobbybäcker gegeben. Sicherlich auf hohem Niveau. Gemeinsam mit einer befreundeten Bäckermeisterin gründete Geißler vor einigen Jahren eine kleine Bäckerei und gibt darüber hinaus zahlreiche Kurse zum Brotbacken. Auch als Autor erfolgreicher Backbücher ist er bekannt. Wer nun seit einigen Zeilen mit einem ’aber‘ rechnet, den möchte ich an dieser Stelle nicht enttäuschen: Es gibt tatsächlich etwas, was mich bei Lutz Geißler stört. Sie kennen bestimmt den Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen. Dieser ist nicht nur schwierig, er ist schlicht wenig sinnvoll. Dennoch vergleicht Geißler gern und ausgiebig das, was er tut, mit dem täglichen Geschäft eines Bäckers. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass sich viele, wenn nicht die meisten, traditionellen Bäckereien zu Unrecht mit dem Zusatz „handwerklich“ schmücken. Auch kleine Bäcker würden mit einem Maschinenpark arbeiten, der häufig industrieähnlich sei. Außerdem prangert er den großflächigen Einsatz von Convenience-Produkten in den Backstuben an. All das hätte mit Handwerk nichts mehr zu tun. Und ich befürchte, da hat er nicht ganz Unrecht. Das Handwerk passt sich den Erfordernissen an. Es entspricht nicht mehr dem traditionellen Begriff des Handwerks – aber das ja schon sehr lange nicht mehr. Auch wenn der Begriff Handwerk nicht genau definiert ist, dürften hier oftmals die Erwartungen von Kunden an ihren Handwerksbäcker und dessen Backstuben- Alltag weiter auseinanderklaffen, als dem Bäcker selbst lieb sein kann. Diesen (wunden) Punkt hat Geißler offensichtlich für sich entdeckt und versucht nun, die Bäcker vor sich herzutreiben. Allerdings muss ich auch an meinen Professor für Kirchengeschichte denken. Er sagte immer: „Context counts.“ Also in etwa: „Auf den Zusammenhang kommt es an.“ Für Geißler ist es recht einfach, das wahre Bäckerhandwerk für sich zu beanspruchen. Hätten wir nur alle paar Tage geöffnet und würden dann lediglich eine Handvoll Brotsorten backen – so macht er es in seiner Hamburger Backstube –, fiele es uns wohl auch leichter, auf einiges zu verzichten. Es ist in etwa so, als würde der ach so umweltfreundliche Hobbysegler dem Containerschiff seinen hohen Spritverbrauch vorwerfen. Beide fahren zur See, jedoch völlig unterschiedlich. Klar, in der Bäckerbranche gibt es einige Baustellen, aber in Zeiten des Fachkräftemangels darüber zu schwadronieren, dass das einzig wahre Handwerk völlig ohne technische Unterstützung auskäme, geht an der Realität vorbei. Unsere Aufgabe ist es, viele Menschen mit guten Backwaren zu versorgen. Nicht nur einige Dutzend Brote auf Bestellung zu backen. Wenn wir alle so büken wie Lutz Geißler, ergäben sich vielleicht geschmackliche Vorteile, aber leider könnten diese nur wenige genießen, weil es schlicht zu wenig Brot gäbe und sich die meisten Leute diese auch nicht mehr leisten könnten. Im Januar, so schrieb es Geißler in seinem Newsletter, hatte ihn eine Erkältung erwischt. Für ihn hieß das (und ich zitiere wörtlich): „Bäckerei schließen und auskurieren“. Allein diese Möglichkeit, die ich ihm von Herzen gönne, zeigt, dass er sehr wenig mit unserer Branche zu tun hat. Er schreibt Bücher, gibt Kurse und backt nebenher. Das sind andere Bedingungen als wir sie vorfinden und meistern müssen. Auch auf die Gefahr hin, Ihre Lesegeduld auszureizen: Ich muss noch von einer kleinen Entdeckung berichten, die einen Hinweis auf das Geißler’sche Selbstverständnis geben kann: Der Name seines Plötzblogs scheint nicht zufällig gewählt. So ist zu lesen, dass er auf das Buch „Plötziade“ eines sächsischen Bergmanns aus dem 19. Jahrhundert zurückzuführen ist. Dabei handelt es sich um ein Werk, welches sich spöttisch mit dem Bergbau und den Bergmännern auseinandersetzt. Nun gibt wohl niemand gern die Zielscheibe des Spotts ab. Dennoch hat Spott eine wichtige Funktion: Früher waren es die Hofnarren, die die Mächtigen verspotteten, indem sie Unangenehmes aussprachen, um Veränderung herbeizuführen. So hoffe ich, dass jener Blog nicht als Ausdruck der Verachtung gegenüber dem Bäckerhandwerk geschrieben wird – denn auch das kann Spott bezwecken –, sondern als Motivation, über unsere bestehenden Strukturen und Bedingungen nachzudenken. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns selbst infrage stellen und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen können.


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