Musterschüler zu sein hilft auch nicht mehr

Musterschüler zu sein hilft auch nicht mehr

04.08.2023 | Dirk Waclawek

In den vergangenen Jahren schienen die Aufgaben zwischen den Bäckerverbänden in Deutschland klar verteilt: Während der Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks immerhin noch manchmal der Politik die Stirn bot, hatte der Großbäckerverband die Rolle des Musterschülers für sich entdeckt. Als Verbraucherschutzministerin Julia Klöckner Unterstützung in der Salzdiskussion brauchte, gaben die Großbäcker treu ihre Reduktions-Selbstverpflichtung bekannt. Als die von den sogenannten Verbraucherschützern geforderte Umsetzung der Nutri Score-Deklarierung anstand, folgten die Großbäcker – auch unter dem Druck des Handels – wieder brav. Und sie gaben nicht nur Lippenbekenntnisse ab. Sie reduzierten den Salzgehalt in ihren Broten tatsächlich deutlich bis hinunter zur Ein-Prozentgrenze. Mehr ging dann beim besten Willen nicht, weil die Verbraucher nicht mehr mitspielten. Wer sich so vorbildlich und im Dienste der allgemeinen Gesundheit verhielt, durfte natürlich auf den Dank des Vaterlandes hoffen. Und der Dank kam auch prompt: In Form eines gelben C beim Nutri Score oder – anders gesagt – in Gestalt eines ausgestreckten Mittelfingers. Ende des Jahres werden die meisten Mischbrote im Handel vom grünen A ins gelbe C herabgestuft. Ohne dass die Bäcker ihre Rezepturen verschlechtert hätten. In Frankreich – die Festlegung des Nutri Score übernimmt die französische Agentur Santé publique France, Deutschland ist hier lediglich im Beirat vertreten – hat man nur etwas an der Berechnungsformel für den Nutri Score gedreht. Besonders ärgerlich: Es werden wohl fast alle Mischbrote in C landen, unabhängig davon, ob die jeweilige Großbäckerei ihren Salzgehalt mit großem Einsatz oder nur halbherzig reduziert hat. Die Musterschüler dürfen sich mit Recht verschaukelt fühlen.

Im Großbäckerverband hatte es angesichts der Selbstverpflichtung schon vorher eine Strategiediskussion gegeben. Die Großfilialisten wollten von vornherein nicht mitziehen. Und auch bei den Lieferbäckern gab es einige, die die Salzreduzierung mit einem Fuß auf der Bremse begleitet hatten, um sich vermeintlich einen kleinen Geschmacksvorteil zu sichern. In der Tat steht jetzt zu befürchten, dass es beim Thema Salz einen neuen Wettlauf gibt, allerdings in die andere Richtung: Wer schafft es, den Salzanteil so zu erhöhen, dass sein Mischbrot noch gerade C bleibt? Schon irre, aber wir sehen die Welt natürlich trotzdem positiv. Schließlich dürfen wir in spannenden Zeiten leben.

Dirk Waclawek
Chefredakteur


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