Roboter am Limit

Roboter am Limit

14.10.2023 | Christian Bremicker

Kennen Sie diese alte Fernsehwerbung vom Autohersteller mit den vier Ringen im Logo? In einem kleinen Dorf sitzen drei ältere Herren draußen an einem Bistrotisch. Sie unterhalten sich angeregt über die aktuellen Fußballergebnisse. Da kommt einer zu dem Schluss: „Fußball ist auch nicht mehr, was er einmal war.“ Die anderen nicken und einer von ihnen ergänzt: „Autos sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.“ Wieder zustimmendes Nicken. Dann meint der Letzte mit einem schelmischen Grinsen: „Und Frauen auch nicht mehr das, was sie einmal waren“. Im allgemeinen Gelächter schießt plötzlich ein sportlicher, schwarzer Wagen auf den Platz, bremst scharf und wirbelt dabei Staub und einige kleine Kieselsteine auf. Die drei Männer reißen die Augen auf. Was für ein Auftritt! Im nächsten Moment öffnet sich die Fahrertür und eine schöne junge Frau mit schier endlos langen Beinen steigt aus. Nachdem die drei tief durchgeatmet haben, kommentiert der Erste: „Aber Fußball ist wirklich nicht mehr das, was er einmal war!“ Ja, Dinge ändern sich. Diese Beobachtung ist weder neu, noch überraschend. Dennoch trifft sie auch uns gelegentlich hart. Wenn ich mir vorstelle, bei meinen Reportagen einfach einmal den Satz „Auszubildende sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren“ in die Backstube zu werfen, so könnte ich mir durchgängiger Zustimmung und etlicher Anekdoten sicher sein. Früher lernte man noch echtes Handwerk, die Arbeit begann mitten in der Nacht, und man war fertig, wenn man fertig war. Heute können die „Stifte“ nur noch Knöpfchen drücken, wollen lediglich tagsüber arbeiten und haben ihre Work-Life-Balance stets im Blick. Außerdem scheinen die Azubis weniger Spaß zu verstehen als noch vor Jahren. Mich wollte man damals auch mit dem heißen Liter Wasser in die TKZelle schicken. Dort sollte es einfrieren, damit es schön frisch bleibt. Wer heute solche Aufträge verteilt, läuft doch Gefahr, wegen seelischer Grausamkeit verklagt zu werden. Auch sonst, so höre ich, seien Auszubildende im Jahr 2023 eher wie Staubsaugroboter: Nicht sehr schnell, wenig belastbar und beim kleinsten Widerstand kehren sie um. So mancher Bäcker hat mir berichtet, dass „Stifte“ bei den kleinsten Konflikten die Flinte ins Korn warfen und nicht mehr zur Arbeit kamen. Ich durfte kürzlich lernen, dass das in Fachkreisen „Ghosting“ genannt wird. Der Azubi wird zu einem Geist, der nicht mehr erreichbar ist und schlicht verschwindet. Jetzt ist es einfach, über diese Jugend zu schimpfen und das Lied mit dem Kehrvers „Früher war alles besser“ anzustimmen. „Die Jugend hat schlechte Manieren, verachtet die Autorität, hat keinen Respekt vor den älteren Leuten und schwatzt, wo sie arbeiten sollte.“ Diese wenig schmeichelhafte Einschätzung stammt vom griechischen Philosophen Sokrates, der vor über 2.400 Jahren lebte. Es scheint auch damals ein gewisser Generationenkonflikt bestanden zu haben – also war früher keineswegs alles besser. Anstatt zu klagen sollten wir besser aufpassen, dass nicht wir zu den Staubsaugrobotern werden, die beim kleinsten Widerstand umkehren. Gerade jetzt, kurz nach Ausbildungsbeginn, sollten wir unseren (neuen) Azubis bewusst tolerant, großzügig und mit einem Lächeln begegnen. Und wenn wir ganz ehrlich sind, sollten wir froh sein, sie zu haben. Wir schaffen das, da bin ich zuversichtlich.


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