Weichenstellung erforderlich

Weichenstellung erforderlich

21.07.2023 | Christian Bremicker

Wenn ich mich an meine Berufsschulzeit erinnere, die zugegebenermaßen schon ein paar Sommer her ist, so muss ich zunächst an meinen Lehrer im Praxisunterricht denken. Stets mit einem weißen Kittel bekleidet und obendrein mit allen Wassern gewaschen. Ich kann nicht einschätzen, wie alt er damals war, aber er hatte definitiv genug Berufserfahrung, um sich von uns nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Und wir haben es versucht. Ich durfte die Berufsschule in Fürth besuchen, da ich in der Nähe von Erlangen meine Ausbildung gemacht habe. Ein Blick auf die Landkarte verrät, dass Fürth als kreisfreie Stadt im Frankenland liegt. Genauer: in Mittelfranken. Von Bayern kann also keine Rede sein! Dem war sich auch mein Berufsschullehrer überaus sicher: „Gott sei Dank, i bin a Frank“, war häufig in seinem deutlich fränkischen Dialekt zu hören. Ich habe es noch genau im Ohr, und es zaubert mir immer noch ein Lächeln ins Gesicht. Ja, etwas wehmütig sentimental werde ich schon, wenn ich an diese Zeit denke. Aber nicht nur, weil ich gute Erinnerungen daran habe, sondern weil ich befürchte, dass der heutige Berufsschulalltag ganz anders aussieht und dass das in Zukunft wahrscheinlich nur schwerlich besser wird. Ich fuhr damals mit dem Zug von Erlangen nach Fürth. Das war zwar auch eine Strecke, aber im Vergleich eine eher kurze. Klar, es gibt sie immer noch, die berufsbildende Schule um die Ecke. Aber gerade die Bäckerklassen werden merklich weniger. Vor allem auf dem Land kann es zur echten Herausforderung werden, pünktlich morgens um acht im Klassenraum zu sitzen. So kann beispielsweise die Berufsbildende Schule Stadthagen im kommenden Schuljahr keine neue Bäckerklasse mehr anbieten. Die zwei Schüler, die hätten kommen wollen, müssen nun den Weg nach Hannover antreten – dort sind die Anmeldezahlen noch stabil. Auf lange Sicht allerdings, so befürchte ich, wird sich das derzeitige (Schul-)System nicht aufrechterhalten lassen. Es läuft darauf hinaus, dass ganze Landstriche keine Bäckerklasse in erreichbarer Nähe haben. Auf der anderen Seite ist auch die Realität anzuerkennen: Es gibt immer weniger Bäcker und auch immer weniger Bäcker-Azubis. Laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks ging die Zahl der Auszubildenden im Bäckerberuf 2022 um 11,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr zurück. Konkret sind es jetzt noch etwa 4.200 im ganzen Bundesgebiet. Nur zu klagen nützt nichts. Wenn das duale Ausbildungssystem auch weiterhin funktionieren soll, dann müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Ein gerade sehr beliebter Lösungsansatz liegt, wie sollte es anders sein, in der Digitalisierung. Distanzunterricht als eierlegende Wollmilchsau. Ja, das klingt auf dem Papier gut und ist für die Vermittlung theoretischer Unterrichtsinhalte bestimmt denkbar. Die größte Hürde jedoch: Denken Sie einmal kurz an Ihre Azubis. Ich will gar nicht unterstellen, dass diese nicht willens oder in der Lage wären, diszipliniert den Distanzunterricht zu verfolgen. Obwohl ich mir bei meinen Azubis nicht so sicher gewesen wäre. Aber schulische Inhalte zu verstehen, daheim an Mutters Küchentisch, auf dem kleinen Display eines Smartphones und von allen nur möglichen Ablenkungen umgeben, stelle ich mir nicht so einfach vor. Es sollten andere Lösungen möglich sein, und ich bin zuversichtlich, dass die Verantwortlichen diese auch finden und umsetzen können.


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