Ein Tässchen Tee

Ein Tässchen Tee

22.11.2022 | Christian Bremicker

Unsere treuen Leser sind es eigentlich gewohnt, an dieser Stelle das Porträt meines Kollegen Christian Bremicker zu sehen. Und ich weiß aus sicherer Quelle, dass seine spitzfindigen Beobachtungen viele Fans haben. Dazu zähle ich mich übrigens auch selbst. Wenn er mir den Text für die neue Ausgabe zuschickt, lasse ich vieles stehen und liegen. Zuerst möchte ich Sie also beruhigen: In den nächsten Ausgaben dürfen Sie sich wieder auf Geschichten von meinem Kollegen freuen. Bis dahin nutze ich aber die Gelegenheit und gebe eine kleine Anekdote zum Besten. Vielleicht ganz passend zum Thema Überraschungen – und dem Umgang damit. Neulich beim Frühstücksbuffet im Hotel: Der Angestellte fragte zuvorkommend, ob er eine Tasse Kaffee oder etwas anderes bringen dürfe und kam noch zweimal an den Tisch, um sich nach dem Befinden zu erkunden. Mindestens drei seiner Kollegen taten es ihm gleich – obwohl nur noch vier oder fünf andere Gäste zugegen waren. Das lag auch daran, dass ich als Spätaufsteher ein paar der letzten Minuten genoss, in denen am Buffet überhaupt noch etwas zu holen war. Was ich damit sagen möchte: Der Service war klasse. Und das, obwohl auch diese Betriebe am Arbeitsmarkt oft verzweifelt auf die Pirsch nach fähigen Mitarbeitern gehen müssen. Auf den Rückweg habe ich mich sogar erst kurz nach dem Ablauf der Frühstückszeit gemacht. Dabei kam mir jemand entgegen – schnellen Schrittes unterwegs – in die Richtung, aus der ich kam. Keine zehn Sekunden später war er wieder zurück und ging auf die Rezeption zu: Wie es denn sein könne, dass dort an der Ausgabe niemand mehr sei. Er wolle ja nur eben einen Tee haben, und ihm diesen zügig auszuhändigen, sei doch wohl kein Problem. Der hochrote Kopf und die Lautstärke betonten die Dringlichkeit, mit der nun offenbar diese Tasse Tee hermusste. Zuerst war ich leicht verwundert, zu welch einer heftigen Reaktion eine vermeintliche Kleinigkeit führen kann. Bei genauerer Überlegung dämmerte es mir – und ich kann zumindest für mich sagen: Es sind oft nicht die großen Dinge, die einen aus der Bahn werfen. Manchmal sind es einfach Kleinigkeiten, nach denen man am besten erst einmal durchatmet, bevor man darauf reagiert. Nach einer Überraschung braucht es einige Momente, in denen die unterbewussten Mechanismen ablaufen. Erst danach sind wir wirklich in der Lage, angemessen auf das Geschehene zu reagieren. Und wem es gelingt, seine Energie nicht auf Kleinigkeiten zu verschwenden, der hat mehr Kraft, um die wirklichen Herausforderungen anzugehen. Dabei kann es in ganz schlimmen Fällen auch helfen, sich einfach mal für zwei Minuten hinzusetzen und in Ruhe eine Tasse Tee zu trinken.


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