Ich war dann mal weg

Ich war dann mal weg

09.01.2020 | Trond Patzphal

Eine kleine Glosse von einem Ankommenden, oder ein ganz persönlicher Jahresrückblick.

Ich gestehe, ich habe den Dezember genutzt, um Urlaub zu machen. Und es war kein „normaler“ Urlaub. Auf einem Segelschiff habe ich es Greta und Christopher Columbus nachgemacht und bin 2.900 Seemeilen nur mit Windkraft von Gran Canaria nach Südamerika gesegelt. Ohne Wlan-Anschluss und Telefon. 28 Tage hat es gedauert. Keine Whatsapp-Gruppen, keine Instagram Fotos, keine Mails, die einen erreichen! Die Entzugserscheinungen vom iPhone haben vier bis fünf Tage gedauert, aber interessant war, wie man die Welt danach wahrnimmt – als „Ankommender“. Okay, es war nichts Schlimmes zuhause passiert, nichts abgebrannt, keine Ankündigung einer Steuerprüfung, keine Kündigungen aus der Belegschaft und das lebende Haarteil aus den USA hatte noch nichts Schlimmes angestellt. Sein Kompagnon von der Nordseeinsel hatte gewonnen, what shell’s! Unser neuer Internetauftritt sorgte für Aufregung – ein Brief eines Wettbewerberverlages aus Stuttgart fand hier mein kurzzeitiges Interesse, aber wie soll man jemanden ernst nehmen, der mittlerweile über 80 Prozent seiner Zeitschriftenauflage verschenkt? Die armen Abonnenten, die dafür immer noch Geld zahlen, sie sollten sich doch auch einfach auf die Freiverteilerliste der ABZ setzen lassen … Die SPD hat sich in der Zwischenzeit meines Urlaubes entschieden mit neuen Vorsitzenden der Fünf-Prozent-Grenze entgegenzuwandern, dieser Jakobsweg wird uns im neuen Jahr noch belustigen.

Drei persönliche Briefe von Bäckern lagen auf meinem Briefstapel obenauf, es ging bei allen um die Bonausgabepflicht. Meine lieben Freunde (mir sind alle Bäcker persönlich bekannt), ja, wir haben bereits vor drei Jahren in einem DBZ Kassenheft Spezial darüber informiert, dass das böse Finanzamt eine Lösung in Deutschland einzuführen gedenkt, die in Italien bereits seit 1997 gilt. In Italien mit der Verschärfung, dass Kunden, die ohne Bon den Bäckerladen verlassen, eine Straftat begehen und wegen Steuerhinterziehung angeklagt werden können. Für mich in Osnabrück ändert sich hier sowieso nichts, weil mein Bäcker Wellmann bereits seit 20 Jahren keinen Kunden ohne Bon ziehen lässt. Ich glaube man wollte hier sichergehen, dass auch alles gebongt wird und nicht Mitarbeiter Ihr eigenes kleines Start-up aufmachen, sowas soll es ja geben …

Und dann noch der Klimawandel. Kinder, die zuhause in Vollversorgung leben, demonstrieren jeden Freitag eben gegen diese Vollversorgung, wir haben nach dem Urlaub jetzt erstmal im Kinderzimmer die Heizung gedrosselt, Fridays for Future sollte auch in der Familie gelebt werden. Gab das einen Ärger … Unser neuer Heilsbringer und wahrscheinlich neuer Vizekanzler Robert Habeck hatte sich in meiner Abwesenheit auch gemeldet, er ist dafür und dagegen, er redet morgens auf der Grünen Demo gegen Marktkapitalismus und abends bei den Kapitalisten über Waldromantik, aber meine Schwiegermutter (immerhin schon 85 Jahre alt) findet ihn süß und will ihn wählen und ich möchte wetten, dass er schon auf der Liste der zukünftigen Brotbotschafter steht, lassen wir uns überraschen! Ach ja, mein Lieblingskanzlerkandidat hat in meinem Urlaub gesagt, er stünde nicht zur Verfügung, da war ich traurig, aber wir alle können ihn ja noch ein bisschen überzeugen, dass er unverzichtbar ist, die Briefadresse von Markus Söder kann ich Interessierten weiterleiten … Wie ich nach dem Urlaub erfahren durfte, hat ein Titel auf unserer Schwesterzeitschrift Biowelt (Motiv war eine Demeter Gurke in Plastik verpackt, unsere Headline: „Wieviel Plastik verträgt Bio?“) dafür gesorgt, dass weder Demeter noch der größte Bioanbieter in Deutschland namens Aldi in 2020 noch Gurken in Plastik verkauft, und da sage einer, Medien richten nichts aus.

Was ist noch passiert im alten Jahr? Die Berichterstattung über die Zukunft der Bäckerinnungen hat dazu geführt, dass junge Bäcker den Verein Young Bakerz gegründet haben, dass der „runde Tisch“ nun auch ein Begriff im Bäckerhandwerk wurde und alle Bäckereien in Deutschland sich freuen dürfen, wenn Sie seit Kurzem jede Woche Post vom Zentralverband bekommen. Bäckerpräsident Michael Wippler war in der Bild-Zeitung „Gewinner des Tages“, weil jetzt auch in Bayern Bäckereien Sonntags Brötchen verkaufen dürfen, als Dank wurde er auch als Bäckerpräsident wiedergewählt (sogar mit den Stimmen der Bayern). Mein Parteivorsitzender Christian Lindner wurde Brotbotschafter und hat in meinem Urlaub erstaunlicherweise geäußert, dass er sich jetzt doch vorstellen kann, Verantwortung zu übernehmen … Vielleicht bekommt man als Brotbotschafter doch Erleuchtungen, Hefe hilft … Das Wetter war eigentlich auch ganz schön im alten Jahr, am 25 Juli war absoluter Hitzerekord für Deutschland. 42,6 Grad in Lingen. Und in diesem Jahr haben sich unsere Bäcker wohl viel besser darauf eingestellt als im Jahr davor – man hörte viel weniger Klagen, und einige Bäcker verkaufen jetzt auch wieder Eis … Klimawandel verlangt wohl doch auch Wandel im Sortiment.

Die Idylle und das Leben auf einem Segelschiff kann einen schon verwirren. Man wird irgendwie normaler. Viel gehört habe ich von Dr. Dirk Soltau über Sternenbilder und die Geschichten, die dahinter stehen, ich sage nur Mord und Totschlag und Familienfehden! Was lernt man auf so einer Segelschiffreise? Man braucht weniger Gruppen, mit denen man kommuniziert und sollte sich nur noch mit denen verbinden, mit denen man auch in einen Krieg ziehen würde, weil man sein Leben in Ihre Hand legen kann, und dann denken Sie mal darüber nach, wie viele Menschen in Ihrer Umgebung das wohl sein könnten … Ich habe im Urlaub auch gelernt, dass man als Journalist gut daran tut, seine eigene Meinungsblase einmal zu verlassen, man wird offener … und sehnt sich nach Sternen und Wind! Ich wünsche Ihnen allen einen guten Start ins neue Jahr und dass Ihre Erwartungen in Erfüllung gehen – und natürlich eine gute Gesundheit! Glück auf, 2020!

Ein „Ankommender“ und Ihr Verleger

Trond Patzphal

Ich freue mich auf Ihre Briefe und Mails.
Schreiben Sie mir unter patzphal@ingerverlag.de.


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