Richtig adressiert

Richtig adressiert

25.10.2022 | Christian Bremicker

Zuletzt schrieb ich an dieser Stelle von der Aufmerksamkeit, die man mit der Glaubwürdigkeit bezahlt. Nun soll es um ein weiteres Beispiel gehen, das jedoch ganz anders ist. Die bekannte und renommierte Bäckerei Armbruster aus Schutterwald, unter anderem Marktkieker-Preisträger 2012/2013, hatte Besuch. Dieser war wort- und vor allem bildgewaltig. Die Influencerin Raffa hat sich für ihren Youtube- Kanal „Raffa’s Plastic Life“ angeschaut, was Bäcker und Konditoren so machen. Ich habe mir dieses gut halbstündige Video – ich möchte sagen – angetan. Mir flogen die „Ahs“ und „Ohs“ nur so um die Ohren. Gefolgt von unzähligen Ausrufen: „Oh my god“, „Wow“ und „Yeay“. Man mag mich altmodisch nennen, aber das war mir eindeutig zu viel. Dazu so tiefgründige Feststellungen: „Oh, ist das kalt da drin“. Welch‘ Überraschung, sie stand im Tiefkühlraum. Nicht zu vergessen das völlig überdrehte Rumgehoppel im kurzen Röckchen, die Buttercreme am nackten Hintern und die ständig eingeblendeten Lacher aus der Konserve. Die einzigen wirklichen Einblicke in unser schönes Handwerk gab es bei den ungelenken Versuchen, eine Torte einzustreichen oder beim Rundwirken von etwas Brotteig. Ich habe mich tatsächlich zwischenzeitlich gefragt, ob sich die Bäckerei damit einen Gefallen getan hat. Spoiler: Hat sie. Das zeigt schon ein Blick auf die Anzahl der Aufrufe dieses Videos. Seit dem 14. August dieses Jahres waren es über 55.000 (!!!). Zum Vergleich: Das Imagevideo, das die Bäckerei Armbruster vor etwa elf Jahren ins Netz stellte, verzeichnet bei YouTube noch keine 9.000 Aufrufe. Bei Raffas Video geht es um Reichweite. Nicht um Reichweite insgesamt, sondern um das Erreichen einer bestimmten, relevanten Gruppe. Um Jugendliche, die für einen Ausbildungsplatz gewonnen werden sollen. Bäckerei Armbruster geht hier mit sehr gutem Beispiel voran. Die alten Kampagnen, wie das Bedrucken von Brötchentüten oder das Verteilen von Flyern auf Ausbildungsmessen, sind schön und gut. Aber irgendwie auch 1990. Naja, vielleicht 1995. Wer Jugendliche heute erreichen will, muss sie dort ansprechen, wo sie sind: im Netz. Ich denke, wer das über Facebook probiert, könnte genauso gut auch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Stellenanzeige schalten. Selbst Instagram ist bei denen, die erreicht werden sollen, längst nicht mehr so angesagt wie noch vor ein paar Jahren. Heute sollten es schon TikTok oder Snapchat sein – oder eben YouTube. Wer an dieser Stelle nur unwissend mit dem Kopf schüttelt, kann sich ja Hilfe holen. So wie die Bäckerei Armbruster. Hier war es eine junge Mitarbeiterin, die privat Raffa folgt und sie kurzum angeschrieben hat. Als diese dann wirklich in der Backstube auftauchte, brachte sie einiges mit, vor allem aber fast eine Dreiviertelmillion Follower auf YouTube. Dabei vermute ich, dass dies überwiegend Zuschauer im ausbildungsrelevanten Alter sind. Die Zielgruppe wird also voll erreicht. Dass die Art und Weise des Videos mich nicht angesprochen hat, ist wahrscheinlich sogar gut so. Schließlich bin ich verglichen mit dem typischen Auszubildenden ein alter Mann, fast schon ein Greis. Oder um es etwas milder zu formulieren: Es war schlicht nicht an mich adressiert. Ich bin aber zuversichtlich, dass Bäckerei Armbruster mit diesem Video gute Erfolge bei der Azubisuche erzielen wird.


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