Schatz, du fährst!

Schatz, du fährst!

25.06.2024 | Christian Bremicker

„Der Neusser Bürger- Schützen-Verein kann auf Grundlage einer modernisierten Satzung gestärkt den Herausforderungen der Zukunft entgegenblicken.“ So ist es derzeit auf der Homepage des besagten Vereins zu lesen, und es klingt wie eine Nachricht einer x-beliebigen Jahreshauptversammlung. Dem ist aber nicht so. Die Neusser Bürger-Schützen haben sich nämlich zu einer Satzungsreform entschlossen, die eher eine Satzungsrevolution ist. Erstmals in der Vereinsgeschichte gilt eine „uneingeschränkte Ausweitung von Mitgliedschaft und Stimmrecht auf jede natürliche Person.“ Ja, das ist genau das, wonach es klingt. Mit der neuen Satzung haben nun auch Frauen ein Recht auf Mitgliedschaft und Stimmrecht. Zwar stimmte die Versammlung mit überwältigender Mehrheit dafür – mit 82,6 Prozent –, aber wir haben nicht 1954, sondern 2024! Warum um alles in der Welt hat das so lange gedauert? Andererseits sind die Neusser Schützen in bester Gesellschaft. Beispiel: Straßenverkehr. Moment! Frauen dürfen doch schon lange Autofahren. 1930 war in den Vereinigten Staaten von Amerika schon jede vierte Person am Steuer weiblich, und diese Gruppe verursachte nur sechs Prozent der Unfälle. Und so setzt sich das bis heute fort. Männer verursachen laut aktueller Statistik mit jedem Fortbewegungsmittel deutlich mehr Unfälle als Frauen. Dennoch halten sich die meisten Männer für die besseren Fahrer. Interessant daran ist nicht die unbegründete Selbstüberschätzung des sogenannten „stärkeren Geschlechts“. Vielmehr ist es die Konsequenz, die daraus bis heute gezogen wird: Mit der größten Selbstverständlichkeit sind es die Männer, die am Steuer Platz nehmen. Fährt ein Pärchen zum Einkaufen – wer fährt? Der Mann. Fährt eine Familie in den Urlaub – wer fährt? Der Vater. Ich habe es bei mir selbst auch beobachtet: Meist sitze ich hinterm Steuer, und meine Frau ist einigermaßen überrascht, wenn ich auf dem Beifahrersitz Platz nehme. Warum ist das so? Warum feiert sich ein Schützenverein dafür, dass im Jahr 2024 nun auch Frauen Mitglieder sein können und, warum verhaften wir auch anderswo an veralteten und rational nicht erklärbaren Rollenbildern? Vielleicht braucht es noch etwas, bis gelebte Gleichberechtigung tiefer in die Gesellschaft sickert. Wenn ich an meine Berufsschulklasse denke, hatte ich zwei Mitschülerinnen. Bei über 20 Schülern. Zehn Jahre später in meinem Bäckermeisterkurs sah die Quote schon ganz anders aus. Zwar war es noch nicht ausgeglichen, aber etwa ein Drittel der Meisterschüler war weiblich. Vor allem waren unter den Jahrgangsbesten sehr viele Meisterinnen. Grüße an Jenny – ich bin immer noch etwas neidisch ;-). Und hier mein Appell: Die Backstube als Männerdomäne zu betrachten, ist vorbei! Frauen gehören an die Teigkessel, Tische und Öfen. Und wer sich immer noch hinter dem Argument versteckt, Frauen könnten einfach nicht so schwer heben, soll sich daran erinnern, dass wir nicht nur Bäcker, sondern auch Gentlemen sind. Da stellen wir der Kollegin gern den schweren Mehlsack auf den Tisch. Wer sich das nicht vorstellen kann, findet vielleicht seinen Platz im Neusser Bürger- Schützen-Verein. Dieser lässt zwar inzwischen weibliche Mitglieder zu, aber die Teilnahme an Paraden und Umzügen ist weiterhin nur männlichen Schützen vorbehalten. Man fasst es nicht! Wie gut, dass wir da schon weiter sind.


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