Schöne Grüße von Giovanni!

Schöne Grüße von Giovanni!

17.03.2021 | Christian Bremicker

Neulich war ich bei einem großen deutschen Discounter einkaufen. Das mitgenommene Kind war, wie so oft, verschwunden – warum soll man mit vier Jahren auch bei Papa bleiben, wenn es doch viel lustiger ist, durch die Gänge zu toben? Meine Devise in solchen Fällen lautet: Gelassen bleiben, wir finden uns schon wieder. So konnte ich meinen Blick in aller Ruhe durch das Kühlregal schweifen lassen. Dabei fiel mir eine im Grunde tragische Sache auf: Ein sehr sympathischer, älterer Herr lächelt mich von einer Packung Kochschinken aus an. Daneben steht in geschwungenen Lettern geschrieben: „Saftig und zart, schon als kleiner Junge mein Lieblingsschinken“. Unterschieben mit „Giovanni“. Da explodiert ein Feuerwerk von Bildern in meinem Kopf. Ich kann genau erkennen, wie der junge Giovanni bei seinem Großvater auf dem Schoß sitzt und beide sich eine leckere Scheibe Schinken teilen. Irgendwo in einem kleinen, verschlafenen Dorf in der Toskana fertigt der Großvater diesen Schinken noch selbst an und das Familienrezept wird er nur an seinen Enkel Giovanni weitergeben. So weit wird es aber leider nicht kommen. Plötzlich wird es sehr laut im kleinen toskanischen Dorf. Auf der einzigen Straße rauscht eine riesige Staubwolke heran und erst als diese sich legt und das laute Dröhnen der Motoren verstummt, werden mehrere große blaue LKWs mit deutschem Kennzeichen sichtbar. Ihre Ladeflächen werden geöffnet und Schinkenstück um Schinkenstück wird eingeladen. Bevor Giovanni einschreiten kann, sind alle Schinken verschwunden und der Großvater produziert ausschließlich für den Discounter aus dem Ruhrgebiet. Jetzt muss er allein in Deutschland über 4.100 Filialen mit seinem saftigen und zarten Schinken versorgen. Davon ausgehend, dass jeder Standort etwa 25 Päckchen à 200 Gramm vorrätig haben sollte (konservativ geschätzt), macht das insgesamt über 20 Tonnen Schinken – am Tag. Also 120 Tonnen die Woche und 6.240 Tonnen im Jahr. Betrübt muss ich erkennen, dass der kleine Giovanni in Zukunft wohl weder eine weitere Scheibe Schinken, noch seinen Großvater zu Gesicht bekommen wird. Das eine wird komplett exportiert, der andere hat leider keine Zeit mehr für seinen Enkel. Aus der Ferne höre ich eine drängende Kinderstimme: „Papa, ich will nach Hause!“ Langsam kehre ich aus meinen Gedanken zurück, schnappe mir meine Tochter, bezahle den Einkauf und stelle fest, was Storytelling bewirken kann. Allerdings sollte es glaubhaft und authentisch sein. Alles andere hinterlässt einen schalen Beigeschmack und den Eindruck, dass hier nur um des Verkaufens willen Emotionen geweckt werden sollen. Bei den meisten Bäckereien sieht es ganz anders aus: Sie haben eine lange Geschichte und eine reiche Tradition. Wahrscheinlich wird es keinen Giovanni geben, aber ein Willi oder ein Heinz sind genauso gut. Erzählen Sie davon! Das ist ehrlich, das ist echt und Ihre Kunden werden das merken. Ich bin da sehr zuversichtlich.


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