Verkauf der Zukunft

Verkauf der Zukunft

26.07.2022 | Christian Bremicker

Neulich habe ich wieder einen dieser Augenblicke erlebt, der mich hat fragen lassen, ob ich mich noch in der Gegenwart befinde – oder ob ich schon in der Zukunft angekommen bin. Bei einem großen Ladenbauer war es nicht wie üblich eine Verkaufskraft, die den Kaffee an den Tisch brachte, sondern ein kleiner, weißer Roboter mit angeschraubtem Tablett. Darauf stand der Kaffee – und stand und stand und stand. Wahrscheinlich wäre er kalt geworden, hätte ich nicht eingegriffen und dem hilflosen Roboter meinen Kaffee abgenommen. Da schafft es dieses „Ding“ unfallfrei von der Theke bis zum Tisch, aber die letzten Zentimeter sind doch unüberbrückbar – sofern der Gast nicht mithilft. Von diesem Problemchen abgesehen, ist es nicht nur überaus erstaunlich, was technisch möglich ist, es ist in Zeiten des Fachkräftemangels auch äußerst interessant. Der Roboter kostet zwar etwas Strom, aber dafür will er keinen Lohn, keine Lohnerhöhung, kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld und krank wird er auch nicht. Eigentlich der perfekte Mitarbeiter. Ach ja, der Anschaffungspreis. Der ist eindeutig ein Gegenargument. Schätzungsweise liegt er bei etwa 15 bis 20 Tausend Euro, je nach Ausführung. Aber selbst das ließe sich vielleicht mit einer entsprechend langen Laufzeit und dem gesparten Ärger mit dem Personal schönrechnen. Diese Roboter sind aber nur das letzte Glied in der Kette der Digitalisierung. Betrachtet man den Vorgang des Kaffeetrinkens genauer, so beginnt er damit, dass das Heißgetränk bestellt werden muss. Selbst das läuft heute schon digital. Als ich zu Recherchezwecken – und nur zu Recherchezwecken (falls meine Frau fragen sollte) – die Niederlassung eines amerikanischen Schnellrestaurants mit güldenem „M“ auf grünem Grund besuchte, musste ich feststellen, dass das Bestellen und Bezahlen mittlerweile ohne Fachkräfte geschieht. Früher konnte es schon einmal vorkommen, dass man ein Brett vor dem Kopf hatte. Jetzt war es ein ganzer Touchscreen – in der doppelten Größe meines Fernsehers. Darauf darf der geneigte Kunde auf alles drücken, was er möchte. Nach dem Bezahlen per Karte (mit Bargeld geht das gar nicht) wird ein Bon mit Nummer ausgedruckt. Sobald diese aufgerufen wird, kann man seine Bestellung am Schalter abholen. Mit etwas Glück bekommt man dabei sogar ein menschliches Gesicht zu sehen. Muss aber nicht. In unseren Bäckereien sind wir noch nicht so weit. Und ich höre auch die Skeptiker, die gleich bemängeln, dass diese Art des Verkaufens doch nichts mehr mit dem guten, alten Handwerk zu tun habe. Wo solle das hinführen, wenn nicht einmal mehr die schlecht gelaunte Verkäuferin eine Rolle spielen darf? Kleiner Scherz. Es gibt auch ebenso schlecht gelaunte Verkäufer. Ich kenne diese Argumente. Auch das Argument des hohen Anschaffungspreises ist mir bekannt. Aber was soll man machen, wenn sich keine Verkaufskraft mehr findet, weil selbst die mit schlechter Laune was anderes machen wollen? Ideal ist die digitale Lösung nicht – wenn es um das Zwischenmenschliche geht. Aus wirtschaftlicher Perspektive sieht das anders aus: Menschen, die Erfahrungen mit diesen Touchscreens haben, berichten, dass der Umsatz damit um bis zu 20 Prozent gesteigert werden konnte. Plötzlich erscheint das Zwischenmenschliche vielleicht nicht mehr so wichtig, oder? Was auch immer Sie tun, wenn die Verkaufskräfte knapp werden, bleiben Sie zuversichtlich.


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